Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
oder es war aus irgendeinem Grund unerreichbar für ihn. Bei manchen Menschen kann das Verlangen stärker als alles andere sein.«
Sie sah ihn von der Seite an. » Du wolltest auch schon immer reich und wichtig werden. Das war auch für dich das höchste Ziel.«
» Das stimmt.«
» Aber dir war dieses Ziel nie wichtiger als du selbst.«
» Du siehst die Parallelen, und du fragst dich, weshalb ich nicht so geworden bin wie er. Ich habe die Grenzen, die das Recht den Menschen setzt, als… Optionen oder vielleicht sogar als Herausforderung gesehen. Und ich hatte Summerset, der für mich in einer Zeit, in der ich auch einen wesentlich dunkleren Weg hätte beschreiten können, eine Art von Kompass war.«
» Auch ohne ihn hättest du nie den dunklen Weg gewählt. Davor hätte dich dein Stolz bewahrt.«
Er zog fragend seine Brauen hoch. » Ach ja?«
» Dir ging es niemals nur ums Geld. Geld bedeutet Sicherheit, und es ist auch ein Symbol. Es ging dir nie einfach darum, möglichst viel Geld zu haben, sondern darum, dass du immer wusstest, was du damit machen willst. Viele Menschen haben Geld. Sie verdienen oder klauen es. Doch nicht jeder baut sich etwas damit auf. Er hätte sich ganz sicher niemals etwas damit aufgebaut. Lino, meine ich. Selbst, wenn er reich geworden wäre, hätte er es nie zu Ansehen gebracht. Deshalb hat er dieses Ansehen für kurze Zeit geklaut.«
» Indem er die Soutane eines Priesters angezogen hat.«
» Weil ein Priester in der Welt, aus der er kam, angesehen und wichtig war. Ich wette, dass ihm dieses Ansehen und die damit einhergehende Macht durchaus gefallen haben und er deswegen so lange durchgehalten hat.«
» Offenbar etwas zu lange«, warf Roarke ein.
» Ja.« Wie lange hätte er wohl noch den Priester spielen müssen, überlegte sie. Wann hätte er Reichtum und Ehre erlangt? » Vielleicht kann Teresa nicht bestätigen, dass er tatsächlich Lino ist, denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie ihn nach all der Zeit und mit dem veränderten Gesicht erkennt. Aber trotzdem weiß ich ganz genau, dass der Kerl im Leichenschauhaus dieser Lino ist. Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wer ihm nach dem Leben getrachtet hat und warum.«
Vielleicht hatte Joe Inez die Antworten auf einige von ihren Fragen, dachte Eve, als sie vor dem zwölfgeschossigen Apartmenthaus, einem ruhigen, gepflegten Block aus Beton und Stahl mit einer automatisch gesicherten Tür und Gitterstäben vor den Fenstern der unteren beiden Etagen, stand.
Sie öffnete die Tür mit ihrem Generalschlüssel und sah sich in der kleinen Eingangshalle um. Es roch nach Zitronenscheuermittel und auf dem weiß marmorierten Boden waren ein künstlicher Fikus in einem bunten Topf sowie zwei Stühle einladend arrangiert.
» Er wohnt in 2A.« Statt einen der beiden winzigen Fahrstühle nahmen sie und Roarke die Treppe in den zweiten Stock. Aus den Wohnungen drangen gedämpfte Geräusche in den Flur: irgendwelche Fernsehsendungen, weinende Babys, Salsamusik. Doch sämtliche Deckenlampen brannten und die Wände und die Türen sahen genauso sauber wie die Eingangshalle aus.
Anscheinend machte Inez einen wirklich guten Job.
Sie klopfte an die Tür, und beinahe sofort wurde ihnen aufgemacht. Ein vielleicht zehnjähriger Junge mit dem bei Airboard-Fans beliebten überlangen Pony trank aus einer Flasche ein isotonisches Getränk. » He«, grüßte er.
» He«, grüßte Eve zurück. » Ich möchte mit Joe Inez sprechen.«
Sie zückte ihre Dienstmarke, und er ließ seine Flasche sinken und riss überrascht und aufgeregt die Augen auf. » Ach ja? Und was wollen Sie von ihm?«
» Das geht dich einen feuchten Kehricht an.«
» Haben Sie denn einen Haftbefehl?« Der Junge lehnte sich gegen den Türrahmen und nahm den nächsten Schluck von seinem leuchtend orangefarbenen Getränk. » Das fragen sie nämlich immer im Fernsehen.«
» Hat dein Vater denn irgendetwas Verbotenes getan?«, fragte Eve zurück, und der Junge atmete zischend aus.
» Nie im Leben. Dad! He, Dad, hier sind zwei Cops für dich.«
» Red keinen Blödsinn, Mitch, und mach dich wieder an die Hausaufgaben. Deine Mom…« Der Mann, der aus einem der Zimmer kam, wischte sich die Hände an der Hose ab, blieb stehen und bedachte sie mit einem argwöhnischen Blick. » Tut mir leid. Mitch, kümmer dich bitte um die Zwillinge.«
» Oh, nee.«
» Oh doch«, bestimmte Inez, während er mit einem Daumen in Richtung des Zimmers wies, aus dem er gerade gekommen war.
Der
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