Im Namen des Todes: Roman (German Edition)

er nicht auf mich gewirkt. Er will von all dem nichts mehr wissen und ist sichtlich angenervt, wenn er an die Zeit erinnert wird. Was ich ihm nicht verdenken kann. Es ist bei ihm genau wie bei Teresa. Er hat sich ein neues Leben aufgebaut, das er um jeden Preis behalten will. Doch mit einem Mal ist Lino wieder da.«
    Sie setzte sich auf den Beifahrersitz des Wagens und lehnte sich zurück. » Mit einem Mal ist Lino wieder da«, wiederholte sie, während sich Roarke hinter das Steuer schwang. » Ein Hindernis, eine Erinnerung, eine Last, wie du es auch immer nennen willst. Lino ist eine Erinnerung an die Vergangenheit, die damals begangenen Fehler, den Ärger und die Schwierigkeiten, die einen Schatten auf das neue Leben wirft. Aber dadurch, dass er tot ist, ändert sich für diese beiden nichts.«
    Er lenkte den Wagen auf die Straße und schlug dort den Weg nach Hause ein. » Wenn der Grund, aus dem Lino aus New York verschwunden ist, schwerwiegend genug war, können wir ihn finden. Eine Überprüfung der Schlagzeilen aus jener Zeit brächte ihn bestimmt ans Licht.«
    » Vielleicht. Aber weißt du, die Mutter hatte nicht plötzlich diesen Blick. Diesen › Oh-Scheiße-jetzt-geht’s-wieder-los‹-Gesichtsausdruck, der mir eben bei Inez aufgefallen ist. Warum hatte sie den nicht? Sie dachte, er wäre abgehauen, um ein reicher, angesehener Mann zu werden, nicht, weil er vor irgendetwas geflohen ist. Vielleicht interpretiere ich ja auch zu viel in den Blick von Inez rein.« Sie fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. » Die Eindrücke, die ich bei den Ermittlungen zu diesem Fall bekomme, stimmen irgendwie nicht überein. Bei jedem Gespräch kommt etwas anderes heraus. Ich muss das alles erst einmal gedanklich sortieren.«
    » Wenigstens weißt du inzwischen, wer dein Toter ist.«
    » Ich brauche noch die offizielle Bestätigung, aber ja, ich bin mir sicher, dass ich weiß, wer er in Wahrheit war. Die Messe morgen früh werde ich leider ausfallen lassen müssen«, überlegte sie und schickte ihrer Partnerin eine entsprechende SMS .
    » Ich glaube nicht, dass das gegen dich spricht, denn schließlich lässt du die Messe sausen, um diese Soto zu vernehmen, damit du dein Opfer endlich eindeutig identifizieren kannst.«
    » Hmm. Trotzdem will ich noch einmal mit López sprechen. Am besten fahre ich nach dem Gespräch mit Soto einfach noch bei ihm vorbei. Sie war Linos Freundin«, überlegte sie. » Hatte schon als Kind eine Beziehung zu ihm. Ich habe keine Freunde aus der Kindheit. Aber du. Wie weit geht da die Loyalität?«
    » Das ist eine viel zu vage Frage, als dass ich dir eine eindeutige Antwort darauf geben könnte«, klärte er sie auf.
    » Sagen wir, ein Freund aus alten Zeiten hätte was getan oder etwas nicht getan, weshalb es zu einem Bruch zwischen euch kam– etwas, worüber ihr gestritten habt, worin ihr nicht einer Meinung wart. Dann haut er einfach ab. Beschützt du ihn trotzdem weiter? Hältst du bis an dein Lebensende den Mund, weil ihr schließlich einmal, lässig formuliert, in derselben Mannschaft wart?«
    » Du siehst wieder mal schwarz-weiß, Lieutenant. Es käme darauf an, was der Freund getan oder unterlassen hat und ob und wie sehr ich und die Menschen, die mir nahestehen, davon betroffen sind. Würde eine Enthüllung etwas daran ändern, was damals geschehen ist, oder würde sie was ausgleichen, was meiner Meinung nach ausgeglichen werden muss?«
    » Du würdest die Sache unter Verschluss halten«, murmelte sie. » Und zwar aus Stolz und Loyalität. Aber aus Inez kriege ich, wenn nötig, ganz bestimmt heraus, was damals geschehen ist.«
    » Davon bin ich überzeugt. Er hat kein X in seinem Tattoo«, fügte Roarke hinzu.
    » Nein, anders als Lino und Chávez hat er das nicht. Linos Fingerabdrücke und seine DNA waren in seiner Akte festgehalten, aber wie soll ich herausfinden, wer ihn getötet hat, nachdem ein Haufen Weicheier die Löschung aller Einträge veranlasst hat, unter dem Vorwand, man dürfe diese armen, unverstandenen Kinder– die getötet, gefoltert und ganz allgemein jede Menge Schaden angerichtet haben– nicht durch ein Vorstrafenregister stigmatisieren? Falls es jemals irgendwelche Einträge zu Lino gab.«
    » Mit ein bisschen Zeit und den entsprechenden Geräten könnte ich dir diese Informationen besorgen, falls Lino jemals vor Gericht gestanden hat, verhaftet oder auch nur vernommen worden ist.«
    Sie sah ihn von der Seite an. Auch sie selbst hatte bereits an diese