Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
arbeiten, denn sonst hätten die Leute irgendwann etwas gemerkt. Aber wenn wir dort waren, haben wir immer wirklich gut verdient, und wenn ich mir meinen Anteil gut eingeteilt habe, konnte ich selbst nach Abzug der Kohle, die mein Alter aus mir herausgeprügelt hat, ein paar Wochen prima davon leben und sogar noch etwas sparen.«
» Du hast damals schon gespart?«
» Ja, natürlich. Schließlich hatte ich nicht vor, bis an mein Lebensende so zu leben.« Seine Augen sprühten Funken, aber anders als das warme Feuer im Kamin sahen diese Funken dunkel und gefährlich aus. » Natürlich hatte er einen Verdacht, aber mein Versteck hat er nicht gefunden. Denn ich hätte mich eher totschlagen lassen, als dem Kerl den Zaster abzudrücken, der schließlich für meine Zukunft vorgesehen war.«
» Du hast von ihm geträumt? Von deinem Vater?«
» Nein. Er kam in dem Traum überhaupt nicht vor. Es war ein warmer Sommertag, so klar, dass die Stimmen und die Musik deutlich zu hören und die im Fett brutzelnden Fritten, die wir uns dann immer gegönnt haben, schon von Weitem zu riechen waren. Weißt du, ein Tag in der Grafton Street war für uns immer ein echtes Highlight. Wir haben uns die Bäuche vollgeschlagen und die Taschen gefüllt. Aber in dem Traum ging plötzlich alles schief.«
» Wie das?«
» Jenny trug am Grafton-Tag immer ihr schönstes Kleid und hatte immer ein schimmerndes Band im Haar. Denn wir dachten, wenn jemand ein so hübsches, junges Mädchen sieht, denkt er sicher nicht, dass sie eine Diebin ist. Ich habe ihr den Geldbeutel, den ich stibitzt hatte, ohne stehen zu bleiben unauffällig in die Hand gedrückt. Weil man immer in Bewegung bleiben muss. Außerdem hatte ich mir schon mein nächstes Opfer ausgesucht. Der Fiedler spielte gerade › Finnegan’s Wake‹. Ich habe es deutlich gehört, es war eine flotte, lebendige Melodie. Ich zog dem Kerl die Börse aus der Tasche, und er hat nicht einmal gezuckt. Aber dann war Jenny plötzlich nicht mehr da. Sie konnte mir das Ding nicht abnehmen, weil sie mit ihrem Haarband irgendwo hängengeblieben war. Sie hing dort und war tot, so wie damals, als ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Ich konnte nichts mehr für sie tun. Ich kam einfach zu spät.«
Roarke schüttelte den Kopf. » Sie starb, weil sie zu mir gehörte, weil sie Teil meiner Vergangenheit war. Ich rannte über die Grafton Street, um sie herunterzuholen, und die Musiker spielten einfach fröhlich weiter, während sie dort irgendwo hing. Dann war Mick plötzlich da. Auf seinem Hemd breitete sich ein riesiger Blutfleck aus. Weil er auch ermordet worden war. Denn er hatte ebenfalls zu mir gehört. Er hatte das Messer abbekommen, das für mich gedacht gewesen war. Der Fiedler spielte immer noch. Ich konnte Brian sehen, aber er war zu weit weg, sodass ich mit meinen toten Freunden alleine war. Weißt du, in dem Traum waren wir alle noch Kinder. Waren alle noch unglaublich jung. Ich habe mich im Traum gefragt, ob sie vielleicht auf irgendeine Art schon damals tot gewesen sind. Weshalb nur noch ich und Brian übrig sind.
Dann ging ich weg. Ich verließ die Grafton Street und die Freunde, die für mich wie eine Familie gewesen waren. Plötzlich stand ich als Erwachsener auf der Brücke über den Liffey, von wo aus ich unten im Wasser das Gesicht von meiner Mutter sah. Das war alles.«
» Ich könnte dir erzählen, dass es nicht deine Schuld gewesen ist, was mit ihnen passiert ist. Einem Teil von dir ist das bewusst. Aber ein anderer Teil von dir wird sich immer für sie verantwortlich fühlen. Weil du sie geliebt hast«, meinte Eve.
» Ja, das habe ich.« Er griff nach seinem Kaffeebecher und hob ihn an seinen Mund. » Sie sind ein Teil von mir. Teile dessen, der ich bin. Aber jetzt, da ich mit dir zusammen bin, ist mir klar, dass ich all das, dass ich den Verlust all dieser Teile von mir ertragen kann. Weil ich jetzt dich habe.«
Sie nahm seine Hand und hob sie an ihre Wange. » Was kann ich tun?«
» Du hast schon was getan.« Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie erneut.
» Ich kann ein paar Termine verschieben, wenn du willst, dass ich…«
Er blickte sie an, blickte sie einfach an, und der größte Teil der Trauer, die er nach dem Aufwachen empfunden hatte, schwand. » Danke, aber nachdem ich darüber gesprochen habe, geht es mir schon besser.« Er strich mit einem Finger über ihr Kinn. » Also mach dich an die Arbeit, Lieutenant.«
Sie schlang ihm die Arme um den Hals, er zog sie
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