Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
nur ein Mindestmaß an Grips hat, will.«
» Deshalb hat Lino das Tattoo ja auch entfernen lassen. Die zurückgebliebenen Narben sind so schwach, dass sie mit dem bloßen Auge kaum zu sehen sind– vor allem nicht, wenn man nicht genauer hinguckt. Und selbst wenn sie jemandem aufgefallen wären, hätte er sie wahrscheinlich einfach als Überreste einer Jugendsünde abgetan.«
» Trotzdem ist die Tätowierung ein weiterer Hinweis auf seine Identität.« Er biss nachdenklich in seinen Burger und blickte sie fragend an. » Wie dumm muss man eigentlich sein, wenn man sich ein unübersehbares Zeichen dafür in die Haut stechen lässt, dass man schon mal getötet hat? Und was für einem Mörder ist sein Ego wichtiger als seine Freiheit?«
Sie winkte mit einem Pommes frites. » Das ist einfach Teil der Gang-Mentalität. Außerdem kann man niemanden so einfach vor Gericht stellen, weil er ein X am Körper trägt. Was ich wissen muss, ist, warum und für wie lange er sein geliebtes Territorium verlassen hat und warum er eine andere Identität annehmen musste, bevor er hierher zurückgekommen ist. Das sagt mir, dass er irgendwas verbrochen hat, nachdem der Begnadigungserlass zurückgenommen wurde, oder nachdem er volljährig geworden war.«
» Du glaubst, er hat Flores umgebracht.«
» Aber erst, nachdem er irgendetwas anderes verbrochen hat. Soweit wir bisher wissen, war Flores drüben im Westen. Aber was hat Lino dort gemacht? Da ich einfach nicht glaube, dass Lino plötzlich beschlossen hat, den Rest seines Lebens in der Rolle des Priesters zu verbringen, hat er sicher einen Grund gehabt, um unerkannt zurückzukommen. Er hatte offenbar ein ganz bestimmtes Ziel, aber um das zu erreichen, brauchte er Geduld.«
» Scheint um eine ziemlich große Sache gegangen zu sein.«
Sie nickte zustimmend. » Geld, Schmuck, Drogen– also jede Menge Geld. Genug, dass sich dieser Kleingangster aus Spanish Harlem eine teure Gesichts- OP und einen erstklassigen Pass geleistet hat. Genug, um eine ganze Weile abzutauchen, entweder, weil die Sache noch zu heiß war, oder weil er so lange hätte warten müssen, bis er den ganzen Kuchen kriegt.« Sie sah Roarke aus zusammengekniffenen Augen an. » Ich brauche eine Liste von sämtlichen großen Raubüberfällen, Einbrüchen und Drogendeals, die vor sechs bis acht oder vielleicht sogar neun Jahren hier in der Gegend durchgezogen worden sind. Dann muss ich einen Polizisten finden, der zu der Zeit, als Lino ein aktives Mitglied der Soldados war, in Spanish Harlem tätig war. Jemand, der sich an ihn erinnern und mir eine Beschreibung von ihm geben kann.«
» Warum lässt du mich nicht die erste Suche übernehmen? Schließlich habe ich immer einen Riesenspaß an Raubüberfällen, Einbrüchen und Drogendeals. Und ich habe ja wohl eine Belohnung dafür verdient, dass ich dir mit dem Essen derart entgegengekommen bin.«
» Das stimmt.« Sie lehnte sich zurück. » Wie schlimm war ich, als ich vorhin heimgekommen bin?«
» Oh, du warst schon schlimmer, Schatz.«
Lachend nahm sie seine Hand. » Na, vielen Dank.«
Hinter der Bühne des vor Kurzem wiedereröffneten Madison Square Garden bereitete sich Jimmy Jay Jenkins, Gründer der Kirche des Ewigen Lichts, auf die Begrüßung seiner Schäfchen vor. Das tat er mit einem Wodka, gefolgt von zwei Streifen Atemfrisch, während ein Choral der Sängerinnen des Ewigen Lichts in vierstimmiger Harmonie durch die Lautsprecher seiner Garderobe drang.
Er war ein kräftiger Mann und liebte gutes Essen, seine an seinen Leibesumfang angepassten sechsundzwanzig weißen Anzüge, zu denen er diverse farbenfrohe Fliegen und passende Hosenträger trug, seine liebende Ehefrau Jolene, mit der er seit achtunddreißig Jahren verheiratet war, ihre drei Kinder und fünf Enkel, die gelegentlichen, heimlichen Schlucke Wodka, seine augenblickliche Geliebte Ulla und die Verkündigung von Gottes heiligem Wort.
Wobei die Reihenfolge variabel war.
Den Grundstein seiner Kirche, die es seit fast fünfundzwanzig Jahren gab, hatte er mit Schweiß, Charisma, einem Talent fürs Showgeschäft und dem vollkommen unerschütterlichen Vertrauen, das Richtige zu tun, gelegt und im Verlauf der Zeit die Zusammenkünfte in behelfsmäßigen Zelten oder auf irgendwelchen offenen Feldern zu einem milliardenschweren Unternehmen ausgebaut.
Er lebte wie ein König und predigte wie die feurige Zunge des Herrn.
Als jemand bei ihm klopfte, rückte er seine Fliege vor dem Spiegel gerade, strich sich
Weitere Kostenlose Bücher