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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sie bei diesem tief ausgeschnittenen Oberteil und dem kurzen Rock nur ins Sabbern. Aber du willst ja nur bei einem auffallen, bei Raymond, oder?«
    Florence legte das Kleid zur Seite, um es später anzuprobieren. »Ich gehör nicht zu den Frauen, die ihr Herz an einen ungelenken Klotz verlieren.« Sie lächelte verhalten. »Also, erzähl mir, was hast du über Adele gehört?«
    »Zwillinge hat sie gehabt, aber wer der Vater war, das wollte sie nicht sagen.«
    Florence, die Hand am Kleiderständer, hielt inne. »Hat sie nicht eine Zeitlang für die Bastions gearbeitet?«
    Marcels gezupfte Augenbrauen gingen noch höher. »Ja, das hab ich ganz vergessen. Irgendwann letztes Jahr. Sind die Kinder am Ende von ihm?«
    Florence zuckte mit den Achseln. »Die Kinder sind Anfang Oktober am Fieber gestorben.« Sie verzog das Gesicht. »Der Kälteeinbruch hat die Mücken jetzt hoffentlich vertrieben. Sollte es wieder wärmer werden, haben wir die nächste Seuche.«
    »Lettie in der Telefonvermittlung hat gesagt, Raymond hätte bei Vater Finley angerufen und ihm befohlen, zu den Bastions zu fahren. Stell dir bloß vor, er scheucht den Priester herum.«
    »Raymond weiß eben, wie man solche Dinge angeht.« Sie hielt den Blick auf den Kleiderständer gerichtet. »Jemand muss die Sache doch in die Hand nehmen.«
    »Das glaub ich gern, dass er die Sache in die Hand nimmt.« Sie grinste. »Dafür, dass er nie lächelt und manchmal hinkt, sieht er ziemlich aufregend aus. Da kann einem schon das Blut in Wallung geraten.« Marcel ging die Kleider auf dem Ständer durch und zog ein schwarzes Teil mit tief ausgeschnittenem Rücken und locker schwingendem Rock heraus. »Das hier, das ist genau das Richtige für dich. Und was Raymond betrifft, dem ist der Tod auf den Fersen. Er hat zu vielen Menschen den Tod gebracht, und jetzt bereut er es. Ich weiß, du magst ihn, Florence, aber sein Begleiter ist der Todesengel. Das haben er und Adele gemeinsam.«
    Florence nahm ein weiteres Kleid heraus und breitete es über den Ständer. »Adele hat allen Grund, wahnsinnig zu werden. Ihre Schwester hat aus den Händen geblutet und sich aufgehängt, und ihre Kinder sind erst vor ein paar Wochen gestorben. Das ist für jede Frau zu viel. Aber das macht Adele noch lange nicht zur Mörderin.«
    Marcel sah sich um, als fürchtete sie, jemand könnte sie belauschen. »Vater Finley hat wegen Rosa an den Vatikan geschrieben. Er war sehr aufgeregt und hat auf ein religiöses Wunder in seiner Gemeinde gehofft. Das würdest du natürlich wissen, wenn du in die Kirche gehen würdest.«
    Florence lachte laut auf. »Mein Leben ist schon hart genug, da muss ich nicht auch noch auf den Knien rumrutschen.«
    Marcel hielt sich die Hand vor den Mund und gluckste. »Du bist auf dem besten Weg in die Hölle, Florence.«
    »Mag sein.« Sie wählte ein weiteres Kleid. »Eine Stigmatisierte in der Kirche hätte für ziemlichen Wirbel gesorgt. Die Bekehrten wären herbeigeströmt wie die Diebe zum Basar. Und wenn Adele ein loup-garou wäre, könnten wir wahrscheinlich Eintrittskarten verkaufen.«
    »Florence, du bist verdorben. Es dreht sich nicht immer alles ums Geld.« Marcel sah bekümmert drein.
    »Ich sag dir eins, Marcel. Bei allem, was von Bedeutung ist, geht es ums Geld.« Sie hob den Rock des schwarzen Kleides an, prüfte das Gewicht des Stoffs, stellte sich vor, wie er auf dem Tanzboden herumwirbeln würde. Sie machte einige Jitterbug-Schritte. Vor dem Krieg war Raymond ein toller Tänzer gewesen. »Raymond weiß, dass Geld immer ein Motiv ist. Deswegen setzt er sich so für Adele ein. Sie hat nichts zu gewinnen. Genauso wenig wie er selbst, wenn ich dich daran erinnern darf. Er will nur Gerechtigkeit.« Das stimmte. Raymond nahm sich anscheinend nur deswegen nicht das Leben, weil er irgendwie meinte, die Gemeinde vor Unrecht bewahren zu müssen.
    »Heute Morgen war Raymonds Schwester hier. Sie hat gesagt, Raymond hätte sich, seitdem er in den Krieg gezogen ist, so sehr verändert, dass sie ihren eigenen Bruder nicht wiedererkennt. Er ist sogar für seine Familie ein Fremder. Früher hat er immer gelacht, jetzt lächelt er noch nicht mal mehr. Und er hat ein Mädchen vor dem Altar sitzen lassen.« Sie zog eine taillierte Schößchenjacke mit Rock aus dem Ständer und hielt Florence beides zur Begutachtung hin.
    Sie schüttelte den Kopf. »Zu geschäftsmäßig. Ich bin keine Sekretärin, wie jeder weiß.« Sie atmete durch. »Vielleicht braucht Raymond kein albernes

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