Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
wenigen in der Stadt, die Geld hatten und es ausgeben konnten. Schließlich betrieb sie ihr Gewerbe ausschließlich gegen Bares – keiner bekam von ihr Kredit. Ihre Mama hatte schließlich keine Idiotin großgezogen. Für Vergnügungen, die sie bereits genossen hatten, zahlten Männer nicht.
Im Schaufenster betrachtete sie ein besticktes Sofa und träumte kurz von dem Haus, das sie haben würde, wenn sie Iberia verließ. Hier würde es ihr nur Schwierigkeiten einbringen, wenn sie mit ihrem Reichtum protzte. Manchmal kaufte sie sich ein Kleid oder ein neues Paar Schuhe – statt Sohlen aus Pappe konnte sie sich richtige aus Leder leisten, falls es denn welche gab. Aber nie größere Anschaffungen.
Sie führte ein einfaches Leben, ihr Haushalt umfasste nur das Notwendigste. Eines Tages aber würde sie ihr so sorgfältig verstecktes Geld ausgraben und einfach von hier verschwinden, um dann das Leben zu führen, das sie verdient hatte. Der einzige Luxus, den sie sich erlaubte, war ihre monatliche Fahrt nach Baton Rouge, in die Hauptstadt des Bundesstaates. Natürlich kannte sie die rauen Bezirke in der Nähe des Flusses, im Norden der Stadt aber hatte sie ein Viertel gefunden, in dem die Hecken hoch und die Rollläden immer halb geschlossen waren und die Anwohner ihr anonymes Großstadtleben führten, sorgenfrei und sicher.
Solchen Phantasien gab sie sich einmal im Monat hin, wenn sie im Schatten der großen Eichen und exotischen Palmen den Bürgersteig entlangschlenderte. Hier würde sie sich ein Haus kaufen, es mit schweren Mahagonimöbeln einrichten und ein neues Leben beginnen. Sie würde sich als Witwe, wenn nicht gar als Ehefrau eines Rechtsanwalts ausgeben. Eine Frau voller Anmut und Schönheit, die schwere Zeiten hinter sich hatte. Allerdings ohne Kinder. Das Leben war dafür zu hart und zu unberechenbar.
Ein dunkler Wagen fuhr vorüber, in dessen Seitenscheibe sie ihr eigenes Spiegelbild bemerkte. Ach, wie ernst sie aussah. Und wie traurig. Seitdem Raymond Thibodeaux regelmäßig bei ihr an die Tür klopfte, war ihr die Traurigkeit geradewegs in die Knochen gefahren. Ihre Liebe zu ihm war in demselben Maße gewachsen, wie sie die Düsternis begriff, die sein Herz fest im Griff hielt. Raymond glaubte, er verdiene es nicht zu leben. Er hatte sich selbst zu einem Halbleben verdammt, als Strafe dafür, dass er nicht selbst gestorben war.
Sie trat unter die Markise von Marcels Modegeschäft und wusste nicht, ob es der Schatten oder ihre Gedanken waren, die ihr plötzlich einen kalten Schauer über den Rücken trieben. Noch dazu, da jetzt Henri Bastion brutal ermordet worden war und Raymond sich für eine Verrückte einsetzte.
Die Tür des Ladens ging auf, und die Besitzerin, Marcel Yerby, winkte sie herein. »Florence, alles in Ordnung? Du siehst aus, als würde es dir nicht gutgehen.«
Florence rang sich ein Lächeln ab. Marcel hatte festes, dunkles Haar, das sie jede Nacht aufwickelte, um mit der neuesten Mode zu gehen. Sie war eitel und manchmal arrogant, heute aber schien sie in Plauderlaune zu sein. »Musste gerade an Henri Bastion denken und seinen schrecklichen Tod.« Marcel kannte immer die neuesten Gerüchte, und was diese wert waren, wusste Florence sehr gut. Sie hatte ja selbst ein paar Dinge zu erzählen, die sie vergangene Nacht bei Emanuel Agee aufgeschnappt hatte.
Marcel nickte und zog die Augenbrauen hoch. »Hab gehört, Adele Hebert soll knurrend über der Leiche gekauert haben, und am Straßenrand hat ein Wolfsrudel gewartet. Raymond hat vier von den Viechern erschießen müssen, bevor er zu Adele konnte.«
Florence fühlte sich zuversichtlich. »Dann ist Raymond in den Augen der Stadt jetzt also ein Held?«
»Kaum. Er verteidigt Adele, sie soll unschuldig sein, meint er.«
Florence ging zum Kleiderständer und besah sich das Angebot. Sie wartete, dass Marcel weitererzählte. Die Ladenbesitzerin konnte kaum ein Geheimnis für sich behalten.
»Nimm dich in Acht, cher . Raymond Thibodeaux hat was mit Adele.« Wieder zog Marcel die Augenbrauen hoch. »Sie hat ihn verhext, und jetzt will sie ihn ganz auf die dunkle Seite ziehen.«
»Eines weiß ich mit Bestimmtheit, Marcel. Raymond lässt sich von niemandem vorschreiben, was er zu tun hat.« Florence zog ein grünes, blumengemustertes Kleid vom Ständer und tat so, als würde sie es betrachten. »Meinst du, die Farbe bringt meine Augen zur Geltung?«
Marcel sah zu dem Kleid. »Die Männer mögen deine Augen, aber bei deiner Figur kommen
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