Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Wagen begleiten konnte. »Ich besitze Eisenbahn- und Ölanteile. Ein wenig von diesem und jenem. Ich erwarte, dass mein Vermögen in naher Zukunft beträchtlich zunimmt.«
»Dann darf man Ihnen gratulieren. Sind Sie hier, um Madame aufzusuchen? Sind Sie krank?«, fragte sie, ohne ihre Besorgnis ganz verbergen zu können. Ihr Herz schlug viel zu schnell, aber sie wusste, er hatte nicht die geringste Ahnung, wie sehr sie ihn verabscheute. Und er würde es auch nicht erfahren. Der Trick war ganz einfach: Man musste nur lächeln, wenn man den Männern in die Augen schaute, man musste ihnen schmeicheln, auch wenn man dabei schamlos übertrieb. Ihre Mutter hatte ihr diese Überlebenspraktiken für eine von Männern beherrschte Welt beigebracht. Körperlich hatte sie Praytor nichts entgegenzusetzen, und obwohl er nichts in dieser Hinsicht andeutete, beschlich sie in seiner Gegenwart eine gewisse Nervosität.
»Nein, Ma’am. Ich wollte bei Madame nur nach einem Mittel für meine Schwester nachfragen. Es hat sie schlimm erwischt, sie kommt kaum noch hoch.«
»Das tut mir leid. Ich hoffe, es geht ihr bald wieder besser.« Sie versuchte sich daran zu erinnern, ob sie jemals Praytors Schwester gesehen hatte, doch ihr wollte partout nichts einfallen.
»Sie braucht ein Tonikum zur Stärkung. Mrs. Dumont wird ihr sicherlich helfen können.«
»Probleme mit dem Wagen?« Chula deutete auf sein Auto, während sie an ihm vorbeiging.
»Ganz und gar nicht. Der Ford läuft wie geschmiert. Hab nur angehalten, weil ich nachsehen wollte, ob es in dem Wasserloch dort hinten Flusskrebse gibt. Mama könnte sie uns mit Kartoffeln und Mais zubereiten. Vielleicht pack ich dann auch die Fiedel aus, dann könnte man ein bisschen tanzen.« Er öffnete die Wagentür. »Wollen Sie mit zum Abendessen kommen?«
Sie setzte ein Lächeln auf. »Sehr nett von Ihnen, aber ich bin schon verabredet.«
»Wusste gar nicht, dass Sie sich mit jemandem treffen«, kam es von ihm in scharfem Ton.
Praytor Bless hatte Geld und Einfluss. Mit ihm war nicht zu spaßen. »Ich bin mit meiner Mutter verabredet.« Sie stieg in ihren Wagen und zog das Kleid hinein, bevor sie die Tür schloss. »Aber wirklich nett von Ihnen, mich einzuladen, Praytor. Genießen Sie die Flusskrebse und die Musik.«
Sie ließ den Motor an, sah geradewegs auf den Weg vor ihr und hoffte, dass er den Wink verstand und seinen Wagen zur Seite fuhr, damit sie passieren konnte.
Einen langen Augenblick starrte er sie nur an, schließlich ließ er sich hinter dem Steuer nieder und machte ihr Platz.
Sie nickte ihm zu, als sie an ihm vorbeifuhr, den Fuß fester auf dem Gaspedal als sonst, während das erste blaue Licht der Abenddämmerung durch die dichten Bäume sickerte.
Die Sonne war untergegangen, als Raymond sah, wie Praytor Bless aus dem Weg zu Madame Louiselle kam. Vorher war bereits Chula Baker an ihm vorbeigefahren – schneller, als es ratsam gewesen wäre. Dann, eine Viertelstunde später, Praytor, der, statt den Weg nach Hause einzuschlagen, nach Norden in Richtung Stadt abbog.
Langsam fuhr er zu Madames Hütte, hielt an, griff sich die Decken, die Pinkney gewaschen und getrocknet hatte, und trug sie die Stufen hoch. Wortlos bedeutete ihm Madame einzutreten und nahm ihm die Decken ab.
»Wie geht es ihr?«, fragte er. Er sah zu Adele; seiner Einschätzung nach schien es ihr weder besser noch schlechter zu gehen.
»Sie leidet.« Madame führte ihn in die Küche, wo er Platz nahm. In einer großen Glasschale waren Blätter und braune Beeren eingelegt, wie sie Raymond noch nie gesehen hatte. Madame schöpfte daraus eine bernsteinfarbene Flüssigkeit und goss sie in winzige Fläschchen.
»Chula Baker war hier«, stellte er fest. »Und Praytor.«
»Chula hat mir meine Post gebracht. Und Praytor war da, weil er sehen wollte, was er von mir erfahren könnte.« Madame wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, setzte die Schale ab und trat hinter ihn. »Er ist ein neugieriger Mensch. Aber Chula ist wie du, Raymond, sie passt nicht hierher, nicht an diesen Ort und nicht in diese Zeit. Sie hat mal gut zu dir gepasst.«
Raymond lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Ich passe zu niemandem mehr, Madame.«
Er spürte, wie sie ihm mit der Hand leicht über den Rücken bis hinab zur Hüfte strich. Sein Rückgrat kribbelte.
»Der Schmerz ist wie ein Feuer, erst brennt es leicht, dann, wenn man neues Holz auflegt, lodert es auf. Du lebst im Schatten dieses Feuers«, sagte Madame.
Er
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