Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
um die Wagenschlüssel zu suchen. Zwanzig Minuten zu spät. Sie würde nicht ewig auf ihn warten. Die Zeit, die man auf einen Mann wartete, war für immer verlorene Zeit – eine der Lektionen ihrer Mama. Mit ihren vierunddreißig Jahren hatte Florence keine Zeit mehr zu verschwenden. Gott hatte sie mit straffer Haut und ansprechenden Kurven gesegnet, aber die Zeit hatte bereits begonnen, an ihr zu ziehen und zu zerren. Wenn sie im hellen Morgenlicht ihr Gesicht betrachtete, sah sie die winzigen Falten, aus denen irgendwann abgrundtiefe Furchen werden würden. Ihre Brüste, noch voll und fest, würden irgendwann hängen. Sie hatte ältere Huren gekannt, die versucht hatten, sich zu verkaufen, was sie immer nur mit Ekel erfüllt hatte. Zeit war ihr kostbarstes Gut, das sie sich von niemandem stehlen ließ.
Sie griff sich die Schlüssel auf dem Toilettentisch und ihre Handtasche. Ihre hohen Absätze klackten auf den Holzdielen, als sie durchs Haus ging und die Lichter ausmachte. Mit dem Po hielt sie die knarrende Fliegentür auf, während sie die Eingangstür zusperrte.
Eine Hand tauchte aus der Dunkelheit auf, legte sich auf ihren Po und glitt über die Rundung zu einer intimeren Stelle. »Tut mir leid, dass es spät geworden ist. Wohin willst du?«
Sie ließ den Schlüssel im Schloss und glitt in seine Arme. »Die Zeit wartet auf niemanden, und das gilt auch für Florence.« Sie roch sein Rasierwasser, würzig und frisch wie ein abgebrochener Kiefernzweig. Mit der Wange strich sie über seine Brust und spürte das gestärkte Hemd. Sie mochte Männer, die sauber waren und einige Anstrengung auf sich nahmen, um ihr Respekt zu erweisen. Geschmeidig drückte sie ihren Unterleib gegen seinen. Die Reaktion erfolgte sofort. Sie lachte, ihr gefiel die Macht, die sie über ihn hatte. Für die Leute in der Stadt war er ein Halbtoter, aber sie wusste, wie sie ihn zum Leben erwecken konnte. »Was hat dich aufgehalten?«
»Ich war draußen bei den Bastions, dann gab es noch einiges zu erledigen, bevor ich mit der Arbeit fertig war.«
Florence trat zurück. Im fahlen Licht waren die Sorgen in seinem Gesicht zu erkennen. Sie nahm ihn an der Hand. »Gehen wir rein.«
»Ich dachte, du wolltest gerade aufbrechen?«
Er neckte sie, aber das war ihr egal. An der Hand führte sie ihn rückwärts mit sich ins Haus. »Ich hab’s mir anders überlegt.« Sie verriegelte die Fliegentür.
Er umarmte sie von hinten und zog sie zu sich heran. Sie spürte sein Verlangen. Sanft umfasste er ihre Brüste und küsste ihr den Nacken. »Ich wollte eigentlich schon früher kommen.«
»Willst du einen Drink?« Sie legte ihre Hände auf seine und hielt sie fest. Meist konnte sie es kaum erwarten, dass die Männer es hinter sich brachten, zahlten und wieder gingen. Aber Raymond war kein Freier. Sie wollte es so lang wie möglich hinauszögern, wollte die Stunden, die sie miteinander verbrachten, genießen. Es war ein Spiel mit dem Feuer, aber sie konnte nicht anders.
»Gern.« Er ließ sie los.
Sie ging in die Küche und bereitete mit dem bereits zerstoßenen Eis zwei frische Drinks zu. Ihr Körper fühlte sich schwer und leicht zugleich an. Raymond weckte in ihr Gefühle, über die sie am besten nicht nachdachte. Sexuelles Verlangen, das konnte er zulassen. Das war die Grenze, die er eindeutig gezogen hatte, bevor er sich auf sie eingelassen und begonnen hatte, sie regelmäßig aufzusuchen. Und er beschenkte sie dafür wie kein anderer, durch ihn konnte sie die Zeit und ihre Empfindungen in einem Maße auskosten, wie sie es noch nie erlebt hatte. Für sie war es mehr als Sex. Aber das war ein Geheimnis, das sie nicht mit ihm teilen konnte, weil er sie sonst verlassen würde. Dennoch spielte er in ihren Phantasien über ihr zukünftiges Leben eine Hauptrolle.
Ihre Hände zitterten, als sie die Drinks zubereitete. Sie holte tief Luft, mit einem gezwungenen Lächeln kehrte sie ins vordere Zimmer zurück. Er stand an der wieder geöffneten Tür und sah hinaus in die stille Nacht.
Er nahm das Glas entgegen und nippte daran. »Danke, Florence.« Sein Blick blieb nach draußen gerichtet, auf das Mondlicht, das durch die verwachsenen Eichenäste und ihren Moosbesatz sickerte. »Noch sechsundzwanzig Tage bis zum nächsten Vollmond.«
Sie wusste, woran er dachte, er musste es ihr nicht sagen. »Meine Großmutter erzählte mir früher immer Geschichten über den loup-garou .« Sie legte ihm den Arm um die Hüfte, zufrieden, dass sie hier stehen,
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