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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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weiter. Es gibt ja kaum noch einen anständigen Mann mit zwei gesunden Beinen, der einen ganzen Tanz durchhält.« Sie wurde ernst. »Wenn dieser Krieg nicht bald aufhört, werden wir alle noch als alte Jungfern enden. Ich will Kinder haben.«
    Chula legte der untersetzten jungen Frau den Arm um die Schultern. »Justin Lanoux kommt nach Hause.« Sie hatte gezögert, Claudia davon zu erzählen. »Als ich seiner Mutter den Brief brachte, hat sie mich gebeten, so lange zu bleiben, bis sie ihn gelesen hat.«
    »Sie dachte, er wäre tot, oder?«
    »Ja. Aber im Brief stand, dass er verwundet ist und in die Staaten überführt wurde. Wenn er aus dem Krankenhaus in Kalifornien entlassen wird, kommt er heim. Für immer.« Sie sah Claudias hoffnungsvollen Blick. Sie mochte Justin, seitdem sie in der fünften Klasse war.
    »Ist er schwer verletzt? Stand im Brief was dazu?«
    Wie gravierend Justin verletzt war, war im Brief zu Chulas Beunruhigung nicht erwähnt worden. »Ich weiß nicht. Aber er ist am Leben, und bald wird er hier sein.«
    »Meinst du, ich soll seine Mutter anrufen?«
    Chula legte den Zeigefinger an die Lippen. »Da würde ich noch warten. Du willst doch nicht aufdringlich erscheinen. Mütter sind ihren Söhnen gegenüber ja so fürsorglich.« Sie grinste. »Andererseits hast du eine gute Stelle. Du wärst eine gute Partie!«
    Claudia lachte. »Ich kann dir für die Stelle gar nicht genug danken. Es gibt nichts Besseres auf der Welt, wenn man sich Brot und ein Stück Fleisch kaufen kann, falls es welches gibt. Meine Mama ist stolz auf mich, auch wenn ich schon zweiundzwanzig und noch unverheiratet bin.«
    »Du warst die bestqualifizierte Bewerberin, Claudia. Ich bin froh, dass du die Stelle bekommen hast, aber das hatte nichts mit Sympathie zu tun. Du hast sie bekommen, weil du sie verdient hast.«
    Claudia errötete. »In der Stadt sind manche so …«
    »Gehässig?« Chula zuckte mit der Schulter. »Die sind bloß neidisch. Die Zeiten sind schlecht, und du bekommst regelmäßig deinen Lohn. Manche meinen, regelmäßiger Lohn wäre das Vorrecht der Männer. Eine qualifizierte Frau sollte sich in die zweite Reihe stellen und den Männern Platz machen, auch wenn sie nicht lesen können.«
    »Man hört hässliche Dinge über uns. Über dich.«
    »Das ist bedauerlich.« Chula sperrte die Kasse ab. »Wenn jemand mit Steinen und Stöcken auf dich losgeht, wird es gefährlich, fremdes Gerede aber kann dir nichts anhaben – das hat mir meine Mama beigebracht.« Sie seufzte. Der Tag war endlich vorbei. Sie freute sich nicht sonderlich auf den »Gentleman«, wie ihre Mutter John LeDeux bezeichnet hatte, aber sie war froh, aus dem Postamt zu kommen. Den ganzen Tag hatten sich die Leute nur über Henri Bastions Tod unterhalten wollen, und je später der Tag, umso lebhafter und übertriebener die Geschichten. Bevor sie den Eingang zusperrte, hatte sie noch aufgeschnappt, dass Adele Henris schlagendes Herz in der Hand und seine Leber zwischen den Zähnen gehabt haben sollte. Wie lächerlich!
    »Wir sehen uns morgen. Viel Spaß heute Abend noch. Geh mit ihm zum Tanzen, bis du Blasen an den Füßen hast.«
    »Danke für den Vorschlag, Claudia.«
    Chula schaltete die Lichter aus, schlüpfte durch die Tür und schloss wieder hinter sich ab. Sie war zu Fuß zur Arbeit gegangen, eine halbe Meile entlang einer ruhigen Straße mit ehemals makellos gepflegten Häusern. Jetzt machten sich sogar in den Wohngegenden die Belastungen des Krieges bemerkbar. Farbe war nicht mehr zu haben, Baumaterialien gab es nicht mehr. Alles war rationiert. Der Präsident verlangte von jedem Einzelnen Opfer für den Krieg, doch der Glaube – an die Sache und den Präsidenten – war im Schwinden begriffen. Es gab eine Grenze, bis zu der die Menschen Opfer bringen konnten; mehr und mehr Familien verloren Söhne und Brüder und Ehemänner … es würde Jahre dauern, bis die Wunden heilen würden.
    Aufgebracht ging sie die Straße entlang. Die Männer starben aus dem dümmsten aller Gründe, in diesem großen Krieg ging es nur ums Geld. Freiheit und Frieden mochten am Ende vielleicht sogar dabei herauskommen, das eigentliche Motiv aber war Habgier. Die jungen Männer, die in den Krieg zogen, glaubten an Freiheit und Gerechtigkeit, die alten Männer allerdings, die diese Kriege führten, hatten sich von diesen Illusionen längst verabschiedet. Sie waren getrieben von Habgier und mangelnder Achtung jenen gegenüber, die sie als Kanonenfutter in den Tod

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