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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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erinnern, als er noch ein Junge gewesen ist. Er und Antoine haben im Sommer bei uns den Rasen gemäht.« Myra richtete die Tassen auf dem Tablett. »Sie haben richtig geschuftet. Raymond hat sich Antoine gegenüber wie ein Vater benommen, trotz ihres Altersunterschieds standen sie sich sehr nah. Als Antoine getötet wurde, ist auch in Raymond etwas gestorben.« Sie sah Florence in die Augen. »Wenn das Lachen abstirbt, weiß ich nicht, ob so etwas jemals wieder geheilt werden kann.«
    Florence hatte darauf nichts zu erwidern.
    »Doc hat einige schreckliche Dinge erlebt, Florence. Er hat das Schlimmste gesehen, was Menschen einander antun können. Aber trotzdem hat er es irgendwie geschafft, Mensch zu bleiben. Er kann sich an den Esstisch setzen und eine witzige Geschichte erzählen. Er lässt sich vom Übel dieser Welt nicht … vereinnahmen.«
    Florence räusperte sich. »Raymond leidet, Mrs. Fletcher. Ich weiß es. Aber manchmal kann ich hinter seinen Schmerz blicken.« Es war faszinierend – hier stand sie in der Küche der Fletchers und unterhielt sich mit der Frau des Arztes. Sie streckte den Rücken durch. »Ich weiß nicht, ob Raymond es jemals wieder zulässt, dass er geliebt wird, aber er könnte es. Er wäre dazu in der Lage.«
    Myra legte Florence die Hand auf den Arm. »Wenn er zum Krüppel wird, Florence, wird er sterben wollen. Er wird alles tun, um seinem Körper zu entkommen, der ihn im Stich lässt.«
    »Ich weiß.«
    »Wirklich?« Myra sah sie durchdringend an. »Na, vielleicht wissen Sie es wirklich. Ich seh es Ihnen an, Sie lieben ihn. Nur meinen Sie nicht, Sie könnten sich einem Hurrikan in den Weg stellen und dann ungeschoren davonkommen.«
    Florence lächelte. »Danke. Den meisten wäre es vollkommen egal, ob ich dabei Schaden nehme oder nicht.«
    »Die meisten nehmen sich auch nicht die Zeit, um überhaupt über etwas nachzudenken.« Myra tätschelte ihr noch mal den Arm und verließ dann die Küche.
    Florence machte sich auf den Weg zum Krankenzimmer. Sie kam an zwei jungen schwarzen Frauen vorbei, die den Raum säuberten, in dem Veedal Lawrence gestorben war. Es roch stark nach Bleichmittel, als sollte nicht die kleinste Spur von Veedal zurückbleiben.
    Der Doc hatte Raymond an die Ostseite des Hauses gelegt, wo nicht viel los war, in der Hoffnung, dass er dort Ruhe finden könnte. Florence ging durch den blankpolierten Flur, in dem farbenprächtige Vogelbilder aufgehängt waren. Ein Mann namens Audubon war vor dem Bürgerkrieg durch Louisiana gereist und hatte exotische Vögel gezeichnet, und der Doc hatte einige seiner Werke erworben oder eingetauscht. Eines Tages, wenn sie Zeit hatte, wollte sie die Zeichnungen eingehender betrachten, den unvergleichlichen Detailreichtum und die Farbenpracht studieren, die den Tieren ein Aussehen gaben, als könnten sie jederzeit aus dem Rahmen davonfliegen.
    Sie ging durch die äußere Tür, die auf eine kleine, abgeschiedene Veranda führte. Diese war jenen Patienten vorbehalten, die sich bereits so weit erholt hatten, dass sie dort sitzen und den Schiffsverkehr auf dem Teche beobachten durften. Kaum war sie an der Tür vorbei, hörte sie Vater Michaels Stimme.
    »Sie haben Adele ganz bestimmt nicht gesehen?«, fragte er. »Wenn Sie sie verstecken, kann es schlimm für Sie enden.«
    Florence blieb stehen. In der langen Liste ihrer Sünden war das Belauschen von Gesprächen nur ein kleineres Vergehen. Raymond wollte alles wissen, was sie über Adele erfahren konnte.
    »Sie ist vom Teufel geholt worden, Vater. Der Geist der Sünde hat ihre Seele geschwärzt. Beten Sie für Adeles Seele. Wenn man sie heute Nacht findet, wird sie umgebracht. Beten Sie für ihre Seele.«
    Florence stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch, damit die Tassen nicht klirrten. Sie war sich nicht sicher, wer die Frau war, die sich mit dem Priester unterhielt, aber es stand zu vermuten, dass es sich um Bernadette Matthews handelte, Adeles noch verbliebene Schwester. Wer sonst würde einen Priester bitten, sich für Adeles Seelenheil einzusetzen?
    Florence lief durch den Flur und zum Eingang hinaus, umrundete schnell das Haus und stand schließlich, hinter dichten Kamelien verborgen, vor der kleinen Veranda. Sie hatte freien Blick auf den Priester und die verwahrlost aussehende Frau, die mit ihm sprach.
    Bernadettes Ähnlichkeit mit Adele war verblüffend. Sie hatte die gleichen dunklen Haare und geschwungenen Brauen, die Augen selbst waren mattbraun, ihre Haut war fleckig. Im

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