Im Netz der Angst
daran, dass er früher dasselbe über Sean gesagt hatte. Dann wandte er sich ab und wollte sich auf den Weg zur Garage machen.
Sean hielt ihn auf. »Dad?«
Carl wandte sich um. »Ja, Sean?«
»Dich liebe ich auch, Dad. Ich wollte nur, dass du das weißt. Ich liebe dich sehr.«
18
Sean lief von der Garage ins Haus. Ein Problem weniger. Ihm zitterten zwar noch immer die Hände, aber das war schon in Ordnung. Solange er das Durcheinander hinterher aufräumte, würde vielleicht alles gut werden.
Jetzt brauchte er erst mal ein wenig Abstand. Er wollte irgendwohin, wo er sicher war. Er schaute an seinen schmutzigen Kleidern hinunter. Er würde sich frisch machen, sich umziehen und dann verdammt noch mal für eine Weile aus diesem Haus verschwinden.
Er ging ins Bad, zog das T-Shirt aus und ließ heißes Wasser ins Waschbecken.
»Was mach’su da?«
Sean lächelte. Thomas spähte um die Ecke. Er trug den rotblauen Spiderman-Schlafanzug mit den schwarzen Spinnennetzen unter den Armen. Sean erinnerte sich daran, dass er früher einen ganz ähnlichen besessen hatte. Seiner war mit Superman-Motiv bedruckt gewesen und hatte noch ein abnehmbares Cape gehabt. Immer, wenn er ihn getragen hatte, war er überzeugt gewesen, fliegen zu können. Er fragte sich, ob es Thomas auch so ging. Ob der Kleine wohl den dringenden Wunsch verspürte, weit wegfliegen zu müssen, so wie Sean, als er nur wenig älter gewesen war als Thomas jetzt?
»Ich rasiere mich«, antwortete Sean.
Thomas schaute ihn ganz ernst an.
»Wie geht das?«
Sean hob den kleinen Jungen hoch und setzte ihn neben sich auf dem Waschtisch ab. »Pass auf, ich zeige es dir. Streck mal die Hand aus.«
Als Thomas ihm die kleine rundliche Hand hinhielt, war Sean ganz hingerissen. Er spritzte ein wenig Rasiercreme hinein.
»Du verteilst die Creme so in deinem Gesicht.« Er schäumte sich selbst das Gesicht ein.
Thomas machte es ihm nach, schaute in den Spiegel und kicherte. »Ich sehe aus wie der Weihnachtsmann.«
»Vielleicht sollte ich mich auf deinen Schoß setzen und dich um ein Geschenk bitten«, zog ihn Sean auf.
Thomas verdrehte die Augen. »Du kannst nicht auf meinem Schoß sitzen! Dafür bist du zu groß. Du musst dir deine Geschenke selbst besorgen.«
»Wie recht du hast, mein Bruder.« Sean schaute sich im Bad nach etwas um, das er als ungefährlichen Ersatz für den Rasierer nehmen könnte. Er schnappte sich eine Zahnbürste aus dem Schubfach.
Thomas verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist kein Rasierer. Das ist eine Zahnbürste.«
»Das wird dein Rasierer. Nimm die Seite ohne Borsten.«
Thomas hielt die Arme weiterhin verschränkt.
»Entweder die hier oder ein Waschlappen, mein Junge.«
Thomas nahm die Zahnbürste, zog jedoch eine Schnute.
»Und jetzt kommt der schwierige Teil. Du musst all das abkratzen, ohne dich zu schneiden oder eine Sauerei zu veranstalten.« Sean begann, sich zu rasieren, Thomas ahmte jede seiner Bewegungen nach.
»Du bist ein Naturtalent im Rasieren.«
Thomas sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf. »Bin ich das?«
»Absolut. Du bist zum Rasieren geboren. Ich habe noch keinen Fünfjährigen gesehen, der sich so gut wie du rasiert.«
Thomas platzte fast vor Stolz und Sean musste ein Lächeln unterdrücken. Er erinnerte sich daran, wie viel ihm das Lob eines Erwachsenen als kleiner Junge bedeutet hatte. Besonders, wenn sein Dad ihn gelobt hatte. Carl war sein persönlicher Held gewesen.
»Und jetzt wisch dir den Rest vom Gesicht.« Er hielt einen Waschlappen unter den Wasserstrahl und reichte ihn Thomas.
Thomas schaute auf den Waschlappen und dann wieder zu Sean. »Aber du hast gesagt, entweder die Zahnbürste oder den Waschlappen. Ich habe die Zahnbürste genommen. Wieso muss ich jetzt trotzdem den Waschlappen benutzen?«
Da hatte er nicht ganz unrecht. »Tut mir leid, eigentlich nimmst du Zahnbürste und Waschlappen. Ich werde auch einen nehmen.«
»Ist schon gut. Das war bloß ein Fehler. Jeder macht mal Fehler. Sagt Ms Barnett.« Thomas wischte sich den restlichen Schaum aus dem Gesicht. Ms Barnett war seine Lehrerin und offensichtlich Herrin darüber, was im Leben gut und richtig war.
»Danke. Ich weiß wirklich zu schätzen, dass du nicht so streng mit mir bist.« Sean fuhr kurz durch Thomas’ Wuschelkopf, dann hob er ihn vom Waschtisch hoch und setzte ihn auf den Boden, ehe er sich selbst die letzten Schaumreste abwischte.
»Sean?«, fragte Thomas. »Ist Lügen dasselbe wie ein Geheimnis für
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