Im Netz der Angst
sich zu behalten?«
Sean erstarrte. »Nein. Nicht wirklich.«
»Aber manchmal muss man lügen, damit etwas geheim bleibt, hab ich recht? So wie unsere Geheimnisse. Irgendwann muss ich vielleicht lügen, damit sie nicht herauskommen.«
»Ja, manchmal musst du lügen, um etwas geheim zu halten. Aber am besten bewahrt man ein Geheimnis, indem man gar nichts sagt.« Sean schaute Thomas genau an, um zu sehen, ob er verstanden hatte.
Thomas nickte feierlich.
»Hört sich an, als würdest du dir ganz schön viele Gedanken machen, Kumpel.« Sean war noch immer mit dem Waschbecken beschäftigt.
»Ich nehme an, das tue ich.«
Sean blickte auf die Uhr. »Hör mal, Kleiner. Ich muss noch etwas erledigen, aber ich werde zeitig wieder da sein, einverstanden? Und dann können wir zwei uns unterhalten. Vielleicht können wir heute Abend auch unser spezielles Spiel spielen. Es ist Samstag, da darfst du ja ein wenig länger aufbleiben.«
Thomas nickte und wollte aus dem Bad gehen. Er blieb jedoch auf der Schwelle stehen und drehte sich noch einmal um. »Ich weiß nicht, ob mir unser Spiel gefällt, Sean. Ich fühle mich da so komisch.«
Seans Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb. »Da wirst du dich dran gewöhnen. Dann wird es sich nicht mehr komisch anfühlen. Okay?«
Thomas nickte wieder. »Versprichst du, dass du rechtzeitig zurückkommst?«
»Versprochen.«
Sean ging in sein Zimmer und schloss möglichst lautlos die Tür hinter sich. Dann öffnete er den Schrank und starrte auf die Schuhe, die er dort versteckt hatte. Die würde er bald loswerden müssen. Erst nach einer Weile waren ihm die Ränder und Flecken an ihnen aufgefallen, und er hatte noch länger gebraucht, um zu verstehen, was er da vor sich hatte. Er hatte genügend Krimisendungen gesehen, um zu wissen, dass kein noch so gründliches Putzen die Beweisspuren beseitigen würde. Sie durften niemals in diesem Haus gefunden werden.
Zwar hatte er keinen blassen Schimmer, wie lange die Polizei brauchen würde, um die Vorkommnisse bei Dawkin-Walter-Consulting aufzudecken, irgendwann aber würden sie dahinterkommen, davon war er überzeugt. Dieser Detective Wolf war ihm nicht gerade besonders dämlich vorgekommen.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sie nicht nur die Firma, sondern auch den Familiensitz genauer unter die Lupe nahmen. Er würde die Schuhe in seine Sporttasche stecken, sie aus dem Haus schmuggeln und irgendwo in einen Müllcontainer werfen. Selbst wenn sie jemand dort finden sollte, würden sie niemals hierher zurückverfolgt werden können.
Wie dem auch sei – Sean zog sich jedenfalls ein Paar Latexhandschuhe über, die er stets parat hatte, griff zur Sprühflasche, in die er ein Ammoniak-Wasser-Gemisch gefüllt hatte, und begann, die Schuhe damit abzuwischen. Man konnte nie vorsichtig genug sein.
Was für ein kranker Typ! Kyle ließ das Fernglas sinken. Der Blick ins Badezimmer war ihm teilweise versperrt gewesen, dennoch hatte er genug erkennen können, dass ihm speiübel geworden war. Der feine Knabe mit dem Dachschaden wusste wirklich, wie man Menschen manipulierte. Der kleine Junge hatte ihm buchstäblich aus der Hand gefressen.
Kyle kannte solche Kerle. Einer seiner Stiefbrüder hatte immer den »guten Bullen« gespielt, der Kyle vor den beiden anderen »Bösen« beschützte. Mit Geschenken und Süßigkeiten hatte er sich Kyles Vertrauen erschlichen und ihm das gegeben, wonach er sich mehr als alles andere gesehnt hatte: Aufmerksamkeit. Er hatte Kyle glauben lassen, ihm liege etwas an ihm. Bis Kyle überzeugt war, dass er ihn mochte. Dann hatte er ihn an seine Brüder übergeben, die ihn gequält und misshandelt hatten.
Aimee hatte Kyle dabei geholfen, das zu erkennen. Sie war diejenige gewesen, die ihm gezeigt hatte, dass Warrens Freundlichkeit nur gespielt gewesen war. Sie hatte ihn durch den Prozess geführt, in dessen Verlauf er erkannt hatte, das all das nicht geschehen war, weil er selbst zu schwach oder nicht liebenswert genug wäre. Vielmehr waren seine Brüder grausam und verroht gewesen, Kyle durfte sich also nicht selbst die Schuld daran geben. In gewisser Weise konnten weder Warren noch Gary oder Bill etwas dafür, schließlich waren sie alle von einem wahren Meister zu dem gemacht worden. Oder sollte er besser sagen: von einer Meister in ?
Der Schönling ging gerade aus dem Badezimmer. Kyle vermutete, dass er sich fertig gemacht hatte, um auszugehen. Das war ihm nur recht. Er hatte alles gesehen, was nötig war, und
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