Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
verschwende, mit ihm zu reden. Er interessiert sich nicht im Geringstenfür das, was ich zu sagen habe. Siehst du nicht, dass er diesen Fall bereits in eine Schablone gepresst und aufgegeben hat?«
»Fahren wir ein wenig spazieren.«
»Was ist mit deinem Tee?«
»Der kann warten.«
Kapitel 9
Dienstag, 16. Februar 2010, 12:04 Uhr
Karen Crowley war angenehm überrascht, als sie sah, dass ihr Bruder eine schöne und ruhige Stadt als Wohnort gewählt hatte. Östlich davon erhob sich die Bergwildnis der Sierra Nevada, während man im Westen eine grüne Hügellandschaft sehen konnte.
Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass ihre Mutter schließlich doch noch eine Adresse herausgerückt hatte. Karens Mutter lebte in Arkansas und hatte ihren einzigen Sohn schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen – sein letzter Besuch bei ihr lag vierzehn Jahre zurück. Mom zufolge war das das Jahr gewesen, in dem Karens jüngerer Bruder Cynthia, seine zukünftige Ehefrau, kennengelernt hatte. Mom hatte auch erwähnt, dass Cynthia ihr jedes Jahr eine Karte zu Weihnachten schickte. Auf diese Weise war es Karen gelungen, die aktuelle Adresse ihres Bruders zu ermitteln. Sie hasste es, ihm und seiner Frau einen unangemeldeten Besuch abzustatten, aber seine Rufnummer stand nicht im Telefonbuch und Mom hatte sie auch nicht.
Es war wirklich schade, dass ihre Eltern geheiratet und zwei Kinder bekommen hatten, nur um dann keinerlei Kontakt mehr zu ihnen zu haben. Ihr Vater war vor fünf Jahren gestorben undniemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr Bescheid zu sagen. Von dem Augenblick an hatte Karen jeglichen Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen. Irgendwann hatte sie einfach genug gehabt. Ihre Mutter rief nie an und interessierte sich nur für sich selbst. Bis vor einem Monat hätte Karen nie gedacht, dass sie sich jemals dazu aufraffen würde, mit ihrem Bruder oder ihrer Mutter Verbindung aufzunehmen. Aber in letzter Zeit erkannte sie jedes Mal, wenn sie in die Augen ihres Sohnes sah, ihren Bruder darin wieder. Von da an wusste Karen, dass es Zeit war, ihn zu finden und sich mit ihm zu versöhnen, ihm zu sagen, wie leid ihr alles tat. Sie hatte sogar versucht, zwei von den drei Mädchen zu finden, die zum Teil daran schuld gewesen waren, dass ihr Bruder während der Highschool einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.
Aber bis jetzt hatte sie kein Glück gehabt.
Karens Handy klingelte. Es war ihr Ehemann. Sie hielt sich das Telefon ans Ohr. »Ist alles in Ordnung?«
»Es ist Zeit, dass du nach Hause kommst«, sagte er zu ihr. »Die Kinder vermissen dich, und ich dich auch.«
»Das geht nicht. Zumindest nicht jetzt.«
»Du hast ihn immer noch nicht gefunden?«
»Ich habe gerade mit Mom gesprochen und konnte mit ihrer Hilfe die Adresse in Erfahrung bringen. Ich müsste in wenigen Minuten dort sein.«
»Ich hätte mit dir kommen sollen.«
Karen lebte mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Italien, oberhalb von Cantiano, etwa zwei Stunden von Verona entfernt. Sie hätte ihren Mann gerne in die Staaten mitgenommen, aber einer musste ja zu Hause bei den Kindern bleiben. »Es wird schon alles gut gehen.«
»Woher willst du das wissen? So, wie du mir die Dinge geschildert hast, muss dein Bruder ziemlich durchgeknallt sein.«
»Mom hat gesagt, dass sie ihn noch nie so glücklich gesehen hat, wie seitdem er mit Cynthia zusammen ist. Sie hat gesagt, dass es keine Anzeichen seines früheren irrationalen Verhaltens mehr gibt.«
»Mir gefällt das Ganze trotzdem nicht. Was ist, wenn er dir noch immer nicht verziehen hat?«
»Ich bezweifle, dass er sich überhaupt noch daran erinnert, was damals passiert ist.« Das war natürlich gelogen, aber sie brachte es einfach nicht fertig, ihrem Mann all die schmutzigen Details zu erzählen.
»Du kannst das erst mit Bestimmtheit sagen, wenn du ihn siehst. Wie wär’s, wenn ich am Apparat bleibe, bis du dort bist?«
»Das geht nicht. Ohne Freisprechanlage darf ich beim Fahren nicht mit dem Handy telefonieren. Eigentlich dürfte ich jetzt gar nicht mit dir reden. Ich melde mich bei dir, sobald ich das Haus gefunden habe, okay?«
»Pass auf dich auf.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe alles unter Kontrolle.« Sie drückte auf die rote Taste. Die nächste Straße war Wellington Drive. Danach musste sie noch ein paar Mal abbiegen, und schon würde sie bei ihrem Bruder ankommen.
5416 Wise Road. Da war es bereits.
Das Haus, ein schönes einstöckiges Gebäude, befand sich in einer ruhigen Straße
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