Im Netz des Teufels
Richtung.
»Haben Sie vielleicht einen Hocker für mich?«
Wieder keine Reaktion. Powell fragte sich, ob der Verstand der jungen Frau durch die Chemikalien in dem Nagelstudio schon vernebelt war. Als die Frau endlich begriff, was Powell wollte, rutschte sie von dem Hocker und stellte ihn auf die andere Seite der Theke.
»Danke.« Powell setzte sich hin und öffnete einen Webbrowser. Sie suchte noch einmal den Artikel über Michael Roman, der im Magazin New York veröffentlicht worden war, und überflog die Seiten. Schließlich fand sie den entsprechenden Absatz und auch das, was ihr keine Ruhe gelassen hatte. Sie funkte Fontova an. Ein paar Minuten später betrat er das Nagelstudio. Powell hatte bereits eine Straßenkarte der Umgebung aufgerufen.
Sie erklärte ihrem Partner kurz, um was es ging. Fontova schaute auf die Karte.
»Okay«, begann Powell. »Den ersten Tatort haben wir hier.« Sie markierte das Haus, in dem sich Viktor Harkovs Kanzlei befand, mit einer virtuellen Pinnnadel. »Den Ford Contour, den Roman gefahren hat, haben wir zuletzt hier gesehen. Hier hat unser Messerstecher auch die beiden Polizisten angegriffen. Und schließlich haben wir den H2, in dem unser mutmaßlicher Psychopath vom Tatort geflüchtet ist, hier gefunden.«
Powell lehnte sich zurück und betrachtete die Karte. »Ich liebe diesen Teil der Stadt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber was zum Teufel ist so Besonderes an Astoria und vor allem an diesem kleinen Stück Himmel über dem Ditmars Boulevard?«
Sie drückte Fontova einen Dollar in die Hand. Er steckte ihn wortlos ein.
»Ich weiß es nicht.«
»Ich glaube, ich weiß es.«
Powell maximierte das Browserfenster mit dem Zeitschriftenartikel. Sie zeigte auf den Abschnitt über Michael Romans Kindheit, in dem stand, dass seine Eltern in ihrem Geschäft, der Pikk-Street-Bäckerei, ermordet worden waren. Und dieses Haus, in dem früher die Bäckerei gewesen war, hatten Michael Roman und seine Frau vor ein paar Jahren gekauft.
Es war das Haus Nummer 64 auf dem Ditmars Boulevard.
51. Kapitel
Die alten Gefühle überwältigten ihn mit solcher Wucht, dass ihm schwindelig wurde. Es war nicht nur die Erinnerung an die hier verbrachten Jahre, an die sorgenfreie Kindheit, ein Film, der in seinem Kopf ablief. Es kam ihm tatsächlich so vor, als wäre er wieder neun Jahre alt und liefe den Korridor hinunter, um seinem Vater tragen zu helfen, wenn Mehl, Zucker, große Kisten mit Melasseflaschen, Trockenobst und frisch geröstete Nüsse geliefert wurden. Der Duft frisch gebackenen Brotes hing noch in der Luft.
Seitdem die Pikk-Street-Bäckerei geschlossen hatte, hatten nur wenige Einzelhändler ihr Glück hier versucht. Michael wusste, dass ein Sanitätsfachgeschäft den Laden für kurze Zeit gemietet hatte. Anschließend zog ein Naturkostladen ein. Doch keines der Geschäfte lief gut.
Michael erinnerte sich noch gut an den hinteren Eingangsbereich. Der Holzfußboden war in der Mitte ausgetreten, und an der Decke hingen zwei Lampen aus den Sechzigern. Er tastete sich an der Wand entlang, als er den Korridor hinunterging. Ein Nagel, der aus der Wand herausragte, blieb an seinem Sweatshirt hängen, riss den Stoff auf und fügte ihm einen Kratzer zu.
Als Michael die Tür vor dem ersten Raum erreichte, blieb er stehen. Er versuchte, sich zu beruhigen, und atmete mehrmals tief durch. Vorsichtig spähte er um die Ecke in den Raum, in dem früher das Büro der Bäckerei untergebracht war. Als Kind war es ihm verboten, in diesem Raum zu spielen. Er betrat ihn nur, wenn seine Mutter die Buchhaltung machte und sich mit diesem mysteriösen Papierkram herumschlug, der den Erwachsenen einmal pro Monat die Nerven raubte. Michael erinnerte sich, dass er bestraft worden war, weil er einmal ein Zitroneneis auf den Schreibtisch gelegt hatte, das dort geschmolzen war. Jetzt roch es muffig in dem Raum, in dem sich schon seit Ewigkeiten keiner mehr aufgehalten hatte. In dem düsteren Licht erkannte er Umrisse. Zwei dunkle Aktenschränke, ein alter Metallschreibtisch an der Seite, zwei große Pappkartons.
Er lief den Korridor ein Stück hinunter und betrat den Verkaufsraum. Vor dem Kauf des Hauses hatte Abby es mit dem Immobilienmakler besichtigt und Michael erzählt, dass die Vormieter die meisten Möbel ausgeräumt und sogar einen halbherzigen Versuch unternommen hatten, es zu reinigen. Michael schaute sich um. Die vorderen Fenster waren verschmiert, wodurch das durchscheinende Licht einen
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