Im Netz des Teufels
Küche zu.
»Hast du Zeit für einen Kaffee?«, fragte Abby.
»Nein, danke. Ich muss gleich Interessenten eine Eigentumswohnung in Mahopac zeigen.«
»Sagt Mrs Cleary guten Tag«, forderte Abby die Zwillinge auf.
»Hallo«, sagten Charlotte und Emily, ohne vom Eierfärben aufzublicken.
»Du hast die süßesten Mädchen der Welt.«
Jetzt hoben die Mädchen den Blick und lächelten. Diese kleinen Diven.
»Ihr werdet von Tag zu Tag hübscher«, fügte Diane hinzu. »Könnt ihr uns nicht etwas von eurer Schönheit abgeben?« Diane betrachtete ihr Gesicht im Toaster. Eine verzerrte Fratze schaute sie an. »Ich hätte es wirklich nötig.«
Diane Cleary warf wieder einmal die Angel aus. Sie verbrachte ihr halbes Leben damit, nach Komplimenten zu fischen, und die andere Hälfte weigerte sie sich, sie einzuholen.
»Oh, ich glaube nicht, dass du diesbezüglich irgendwelche Probleme hast«, sagte Abby, die den Köder schluckte.
Diane lächelte. »Und wer war der Typ auf der Party, der wie ein jüngerer, größerer Andy Garcia aussah?«
»Das war Tommy, der Freund meines Mannes. Sie arbeiten zusammen.«
»Er ist Staatsanwalt?«
»Ja.«
»Vielleicht lasse ich mich verhaften.«
Abby lachte. »Dann aber in der Stadt.«
»Apropos«, begann Diane und schaute durch das Küchenfenster in die schwarze Nacht. »Ich hab dich das noch nie gefragt, aber vermisst du die Großstadt?«
Abby musste nicht lange darüber nachdenken. »Na ja, abgesehen von dem Krach, der Umweltverschmutzung, der Kriminalität, der Gefahr und der allgemeinen Gleichgültigkeit nicht so sehr. Andererseits bin ich auch nicht wirklich eine Vorstädterin. Ich habe meine Abendgarderobe noch nicht in die Altkleidersammlung gegeben.«
Diane lachte und schaute auf die Uhr, die vermutlich so teuer war wie die ganze rechte Hälfte von Abbys Kleiderschrank. »Ich wollte dich auch nur an morgen erinnern.«
Morgen? , wunderte Abby sich.
»Der Nachbarschaftströdel?«, sagte Diane.
»Ach ja. Klar.« Zweimal im Jahr warfen etwa ein Dutzend Familien aus der Nachbarschaft ihren Trödel zusammen und organisierten einen Garagenverkauf. Bei wem der kleine Trödelmarkt dann stattfand, entschied das Glück, das Unglück oder das Los. Beim letzten Mal fand der Trödel bei Abby statt. »Meine Kisten stehen in der Garage.«
»Großartig«, sagte Diane. »Sag mir Bescheid, wenn schwere Teile dabei sind. Mark kommt mit ein paar Freunden zu Ostern nach Hause. Die Jungs tragen die Sachen gerne rüber.«
Abby wollte unbedingt die alte Kommode, die Michael mit in die Ehe gebracht hatte, ausrangieren. Sie gehörte jedoch zu den wenigen Dingen, die er noch von seinen Eltern hatte. Jetzt war dafür sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, und es war auch nicht der richtige Weg, um die Kommode loszuwerden. »Okay, ich sag dir Bescheid.«
»Bis morgen dann.«
»Okay.«
»Tschüs, ihr zwei«, sagte Diane.
»Tschüs«, riefen die Kinder.
Abby machte sich eine Notiz, dass der Nachbarschaftströdel morgen stattfand, und hängte den Zettel mit einem Glücksbärchi-Magneten an den Kühlschrank. Sie wurde auf ihre alten Tage schrecklich vergesslich.
Als zwanzig Minuten später zwei Dutzend bunt gefärbte Eier auf der Arbeitsplatte in der Küche trockneten, begannen die Mädchen, die Zeichnung eines Ostereis auszumalen. Oder vielmehr einen Teil eines Eis. Emily malte die obere Hälfte, Charlotte die untere. Obwohl das nicht ganz stimmte. Wie sich herausstellte, bemalten beide nur je ein Drittel des Eis, das untere und das obere Drittel, und die Mitte ließen sie aus.
Charlotte arbeitete mit ihrer üblichen Genauigkeit und Sorgfalt am oberen Teil des Eis und fuhr mit den Buntstiften nicht ein einziges Mal über die vorgegebenen Linien hinaus. Emily arbeitete mit dem ihr eigenen Talent – bunte Farben, kühne Linien und abstrakte Bilder.
Abby nippte an ihrem Tee und beobachtete die Kinder amüsiert und verwirrt zugleich. Die Kinder ließen die Mitte aus. Das hatten sie im letzten Jahr schon so gemacht. Zu Abbys Bestürzung hatten sie dieselben Bilder auch letztes Jahr Ostern gemalt (und wenn sie jetzt genau darüber nachdachte, beim letzten Halloween ebenfalls. Da hatten sie das mittlere Drittel bei all ihren Kürbiszeichnungen ausgelassen).
Als sie fertig waren, nahm Abby die beiden Zeichnungen und klebte sie zusammen. Die beiden Ränder stimmten nicht überein, das wäre aber vermutlich der Fall gewesen, wenn die Zeichnung eine Mitte gehabt hätte.
Warum fehlt immer ein
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