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Im Netz des Verbrechens

Im Netz des Verbrechens

Titel: Im Netz des Verbrechens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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große Hand tätschelte ihren Kopf. Ihr Vater. Ein drahtiger Mann mit gütigen Augen. Er sprach aus irgendeinem Grund mit Paschiks Stimme und rezitierte Puschkin.
    Ich sitz hinter Gittern im Kerker, der feucht,
    Ein Adlerjunges, dem Käfig entfleucht,
    Schlägt mit den Flügeln; mein trauriger Freund
    Pickt blutige Nahrung vorm Fenster allein.
    In Paschiks Stimme hörte sie eine blasse Erinnerung an den längst vergangenen Winter. Wie er sie auf die im Eis erstarrte Moika unter die Pozelujew-Brücke entführt und dort mit ihr russische Arien um die Wette gesungen hatte. Wie ihre Stimmen unisono widerhallten. Wie er sie küsste, mit seinen kalt-feuchten, ein wenig rauen Lippen, als würde er dem Namen der Brücke Tribut zollen.
    Etwas pikste in ihren Arm.
    Juna riss die Augen auf. Ein Luftzug wehte ihr ins Gesicht, während sich ein schwerer Geruch von Gewalt über alles legte. Ihr Blick schnellte zur Ecke, in der Zdenka gelegen hatte – leer.
    Eine raue Hand tätschelte ihre Wange, der Daumen strich über ihre Lippen. Erst jetzt registrierte sie eine Silhouette neben sich, die das Licht aus den schmalen Fenstern kaum zu erhellen vermochte. »Der Boss will mit dir reden. Wir machen einen kleinen Ausflug.«
    Sie schluckte. Sein Daumen lag noch immer auf ihren Lippen und sie wagte es nicht, sich zu rühren. Obwohl die Fesseln nicht mehr in ihre Gelenke schnitten, obwohl sie den Druck seines Fingers kaum spürte.
    »Komm jetzt.«
    Sie wurde hochgezerrt. Juna hielt sich an der Wand fest und wusste, dass sie wieder zu Boden gleiten würde, sobald er sie losließ.
    »Komm.« Er schlang die Arme um sie und zog sie zu sich heran. Sie fühlte jeden Muskel, der sich unter seinem T-Shirt wölbte. Er hielt sie in einem eisernen Griff. Am Handgelenk baumelte eine Uhr mit einem massiven Armband, das golden glänzte. Der Ring an seinem Finger schien eine Schraubenmutter zu imitieren. Sollte er noch eine Halskette und ein himbeerrotes Jackett tragen, wäre er glatt einem der Witze über die neuen Russen entsprungen.
    »Komm«, sagte er etwas milder und zog sie ruppig mit sich – seine Finger gruben sich in ihre Arme.
    Ihr Blick irrte hin und her. Die restlichen Mädchen kauerten auf den Matratzen und schauten weg.
    »Na los, beweg dich ein bisschen«, raunte er ihr ins Ohr.
    Plötzlich hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Verzweifelt wandte sie sich in seinen Armen, doch er hielt sie umso fester. Mit jedem Atemzug schluckte sie die staubige, abgestandene Luft, hielt endlich still, als ihre Kräfte nachließen und der gesunde Menschenverstand ihr beteuerte, dass sie gegen diesen Mann in ihrer Verzweiflung nicht ankommen würde.
    Durch die Stahltür gelangten sie nach draußen. Die Dämmerung senkte sich über die umherliegenden Bauten und verabschiedete den Tag – welchen? Wie viel Zeit hatte sie in diesem Lagerhaus verbracht? Tage. Oder länger?
    Der Abend hüllte sie mit seiner klammen Kälte ein. Juna zitterte in ihrem zerschundenen Top – der zerrissene Stoff gab den Blick auf ihre in einen schmutzigen BH gezwängten Brüste frei.
    Unter ihren Füßen knirschte der Kies, und in den Pfützen der Schlaglöcher spiegelte sich der wolkenverhangene Himmel. Die verlassenen, aneinandergereihten Gebäude hätten einem russischen Industriegebiet entsprungen sein können, in der keiner Schreie hörte oder hören wollte. Der Mann zog sie um die Ecke, hinter der ein Jeep mit getönten Scheiben wartete. Anscheinend sollte der Ausflug etwas länger dauern. Juna spürte, wie sich so etwas wie Hoffnung in ihr regte. Erschreckend, wie schnell sie sich damit abgefunden hatte, in einem seelenlosen Lagerhaus zugrunde zu gehen. Sie hatte nur noch die Augen schließen und alles für immer vergessen wollen.
    Ihr Bewacher schubste sie Richtung Auto. Der Fahrer legte den Gurt an, als er sie kommen sah. Seine Hände ruhten auf dem Steuer und ein Zeigefinger tippte leicht auf das Lenkrad, als sie an ihm vorbeigingen. Was hinter dem Wagen vorging, würde er nicht sofort bemerken.
    Wenn nicht jetzt, dann nie.
    Sekundenschnell versuchte sie, sich zu orientieren. Das Auto könnte im Weg sein, das Schlagloch, mit schmutzigem Regenwasser gefüllt, durfte sich nicht in eine Stolperfalle verwandeln, und auf keinen Fall durfte sie sich nach rechts abdrängen lassen – an der Wand einer der Baracken würde sie nicht genügend Bewegungsfreiheit haben.
    »Steig ein.« Der Mann gab ihr von hinten einen Stoß. Sie taumelte zur Seite, bewusst plump,

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