Im Netz des Verbrechens
Album ihr mitteilen, sie musste nur verstehen was.
Die Seiten waren leicht vergilbt, die dünnen, durchsichtigen Folien-Leisten wölbten sich an den Rändern. Die Pappe selbst duftete nach Räucherstäbchen, und Juna dachte daran, wie oft ihr Vater mit diesem Album dagesessen und die Briefmarken betrachtet haben musste, bis sich jede Seite mit diesem Geruch vollgesogen hatte.
Noch einmal ging sie das Album durch auf der Suche nach etwas, was sie übersehen hatte. Doch ihr wollte partout nichts auffallen, was sie weiterbringen könnte. Lag die Antwort in den Marken verborgen – in den Motiven, der Anordnung oder dem Wert?
Nick strich ihre eine Strähne hinter ein Ohr. Seine Finger kitzelten sie sanft. Am liebsten hätte sie sich mit der Wange in seine Handfläche vergraben. Nur bei ihm sein und an nichts denken. Wenn er da war, brauchte sie keine Rätsel, sie könnte versuchen, einfach nur glücklich zu sein.
Aber nicht, wenn irgendwo da draußen ein Killer auf sie lauerte, der vielleicht genau das suchte, was sie gerade in den Händen hielt. Sie musste der Lösung schon so nah sein!
Und was dann?
Zurück nach Russland? Ein Gedanke, bei dem ihr mulmig wurde. Würde sie Nick hier zurücklassen müssen? Russland. Über siebzehn Millionen Quadratkilometer ohne ihn.
Er küsste sie auf die Wange, verharrte dort für einen Moment und flüsterte schließlich: »Okay, ich gehe mich jetzt duschen. Wenn du etwas brauchst, weißt du, wo du mich findest.«
Behutsam deckte er sie mit ihrem Bademantel zu und strich ihr noch einmal durchs Haar. Ohne den Blick von ihm abzuwenden, beobachtete sie, wie er vom Bett rutschte und schließlich zur Tür ging. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück. Noch hatten sie all das: die Blicke, dieses Lächeln und die vielen, vielen Berührungen zwischen ihnen.
Schon bald hörte sie das Wasser prasseln und konnte sich eindrucksvoll ausmalen, wie das Nass seinen kräftigen Körper hinunterfloss. Vielleicht einen Tick zu eindrucksvoll.
Sie zwang sich, wieder an die Marken zu denken. Ja, die Briefmarken mussten die Lösung sein. Also noch einmal. Bildchen für Bildchen ging sie die ganze Sammlung durch, bis sie in der Flut von UdSSR-Motiven auf eine Marke der Bundesrepublik Deutschland stieß. Es war bis dahin nicht nur die einzige Auslandsmarke in der Sammlung, sondern auch die einzige Marke, die noch nicht vom Papier abgelöst worden war. Die Ecke des Briefumschlags, an dem sie klebte, war einfach abgerissen worden.
Vorsichtig zog sie das kleine Ding heraus und betrachtete es. Ein Maiglöckchen. Das Maiglöckchen? Sollte ihr das irgendetwas sagen? Giftig waren diese Blumen und sie dufteten schön.
Eine weitere deutsche Marke fand sie zwei Seiten weiter. Sie blätterte weiter. Tatsächlich. Die deutschen waren die einzigen ausländischen Marken in der Sammlung.
Das Wasser im Bad wurde abgedreht. Eigentlich müsste sie sich ebenfalls duschen. Dringend! Doch die Aufregung, die sie gepackt hatte, ließ sie nicht mehr los.
Sie breitete die Fundstücke auf dem Kopfkissen aus: lauter Blümchen und Leuchttürme und irgendwelche Schlösser. Eher unscheinbare Motive, insgesamt zwölf an der Zahl. Sie alle klebten noch am Papier.
Sie warf sich den Bademantel über, sammelte die Briefmarken ein und steuerte das Bad an. Es empfing sie mit warmem Dampf und dem Duft nach Duschgel, etwas Sportliches mit einem Hauch von Eisbergfrische. Sie kam nicht umhin, näher zu treten und verstohlen an seinem nach wie vor nackten Rücken zu schnuppern.
Er rasierte sich. Im Spiegel trafen sich ihre Blicke, und sie musste unwillkürlich daran denken, wie gelöst er aussah. Als wären die Schatten, die sonst tief in seinen Augen verborgen lagen, vorbeigezogen. Sogar seine Narben wirkten weicher, friedlicher.
Dachte er auch daran, das alles, was sie hatten, schon bald vorbei sein könnte?
Er runzelte die Stirn, sein Blick wurde fragend. Sie schüttelte den Kopf. Mit unsicherer Hand legte sie die Marken vor ihm aus, eine nach der anderen auf der schmalen Kante des Spiegelschranks. »Wie kann man wissen, in was für Post diese Briefe abgegeben … wurden?«
Er warf einen kurzen Blick darauf, bevor er sich wieder seiner Halspartie widmete. »Abgegeben – gar nicht. Wenn du etwas in einen Briefkasten wirfst, wie soll es kenntlich gemacht werden, in welchen?«
»Und wenn in Post? Gebäude?«
»Du meinst, in einer Filiale? Hm. Schwierig. Heutzutage werden die
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