Im Netz des Verbrechens
der Zunge und machte das Licht aus.
Alles um sie herum versank in Dunkelheit.
Nick
Er sagt, ich soll aufstehen. Also stehe ich auf. Er sagt, ich soll mich umdrehen. Mit dem Gesicht zur Wand. Und hebt die Waffe, sodass ich direkt in den Lauf sehen kann, doch ich sehe ihm in die Augen – grün mit braunen Sprenkeln. Er blinzelt schnell, als hätte er einen Fremdkörper darin. Ich weiß nicht, ob er schon einmal jemanden erschossen hat, der ihm dabei ins Gesicht geblickt hat. Er wirkt nicht wie ein abgebrühter Killer, aber er ist auf dem Weg dorthin. Die ganze breitbeinige Pose sagt: ›Hier bin ich der Typ mit der Knarre.‹ Er fuchtelt damit vor meiner Nase herum, aber nicht nahe genug, als dass ich eine Gelegenheit hätte, ihn schneller zu entwaffnen, als er feuern kann. Er weiß es. Und grinst.
Bevor wir hierhergefahren sind, habe ich Marc angerufen, und als die Schießerei losging, habe ich ihm SOS gesimst. Juna hat ihr Handy noch bei sich und es ist an. Marc wird sie retten, sage ich mir.
Auch wenn ich tot bin.
Er darf also ruhig weitergrinsen und abdrücken.
»Poworatschiwajsja!«, brüllt er.
Ein lustiges Wort. Klingt ein bisschen wie der Eintopf-Unfall meines Vaters, nach dem er sich nie wieder an den Herd getraut hat. Schade, dass ich diese Sprache nie lernen werde, um mit Juna zu reden.
»Poworatschiwajsja!« Er ist gleich mehrere Dezibel lauter.
In meinem Ohr fiept es, auch ohne dass er herumbrüllen muss. Als die Waffe abgefeuert wurde, habe ich einige Minuten lang überhaupt nichts hören können. Zumindest dieses unerträgliche Fiepen bin ich los, wenn er endlich schießt.
Hinter ihm bemerke ich eine Regung. Mein Blick wandert an ihm vorbei und ich sehe jemanden am Ende des Flurs stehen, bei der Treppe, die zur Wohnung führt. Es ist Kay. Und er hat eine Waffe.
Langsam hebt er den Arm und … feuert. Der Typ vor mir wirbelt herum und hat Kay schon fast im Visier, als ich mich auf ihn werfe und ihn zu Boden reiße. Die Pistole schlittert aus seiner Hand.
Einige Augenblicke lang kann ich mich nicht rühren. Ich drücke mein Knie in seinen Rücken, presse sein Gesicht gegen den Boden und kann mich nicht rühren. Ich bin am Leben. Mein Herz krampft und das Wummern dringt bis zu meinen Ohren. Ich bin am Leben.
Verdammt. Ich habe keine Zeit, hier Wurzeln zu schlagen. Juna! Sie braucht mich.
Ich lange nach seiner Waffe, zerre ihn am Kragen auf die Beine und schleppe ihn raus, während ich den Lauf in seine Rippen drücke. Er keucht und stammelt, dass ich ihn lieber gleich hier erledigen sollte, dass er tot sei, sollten die anderen mitbekommen, dass er mich nicht erschossen hat – und hört einfach nicht auf zu reden.
Ich schiebe den Kerl die Stufen hoch – doch ich bin zu spät. Mein Herz schlägt ins Leere. Oleg und seine Jungs sind verschwunden – mit Juna. Ich drehe den Typen herum und schleudere ihn gegen meinen Wagen. »Wo ist sie? Wo bringt Oleg sie hin?«
Er sagt, er wisse es nicht.
»Ich werde sie finden, so oder so. Aber wenn du es mir ein bisschen leichter machst, mache ich es dir auch leichter.«
Er sagt, er wisse es nicht.
Falsche Antwort.
Er grinst schon lange nicht mehr. Ich lasse erst von ihm ab, als sein Gesicht kaum noch zu erkennen ist, und denke: verflucht. Juna hat jedes Recht der Welt, die Polizei zu fürchten. Sie hätte jedes Recht, mich zu fürchten, hätte sie mir zugesehen.
Mit einem Mal kann ich ihn nicht mehr anrühren. Er röchelt, als ich ihn hochziehe und den Kofferraum öffne.
»Ich weiß nicht, wo er will sie bringen. Ich weiß nicht«, stammelt er in einem ganz annehmbaren Deutsch.
Ich schüttele ihn durch. »Was weißt du dann?«
»Dass er wird treffen Byk. Kennst du Byk?«
Ich werfe ihn in den Kofferraum und schlage den Deckel zu. Er trommelt dagegen. »Ich weiß nichts mehr! Wirklich! Ich weiß nicht.«
Ich kehre zum Studio zurück. Kay steht immer noch am Fuß der Treppe. Nur seine Waffe hat er gesenkt. Sein Gesicht ist grau, die Augen matt. Gerade hätte er jemanden getötet, zumindest wenn das Projektil nicht einen guten Meter danebengegangen wäre. Er ist kein Killer. Und schon gar nicht die Krähe , egal, was auf seiner Visitenkarte steht.
Ich strecke meinen Arm aus. »Gib mir die Waffe.«
Er gehorcht wie ferngesteuert. Es ist eine SIG Sauer P225, vor wenigen Jahren noch die Dienstwaffe der Polizei, bis die Walther P99 sie abzulösen begonnen hat. »Wo hast du sie her?«
Er schaut die Pistole teilnahmslos an. Ein bisschen so, als würde
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