Im Netz des Verbrechens
ihr gegenüber Platz nahm, drehte einen roten Becher mit Kaffee in der Hand. Ihre großen braunen Augen funkelten vergnüglich, wenn sie die Wimpern aufschlug – wie in einer Kaffeewerbung. »Und wo kommst du her? Wenn das kein Geheimnis ist. Ich hoffe, ich bin nicht zu direkt.«
Aus einem Mädchenlager. Rasch nahm Juna sich ein Brötchen aus dem Korb, der in der Tischmitte stand. Zögerte. »Aus Russland.«
Sie wusste nie genau, wie die Leute darauf regierten. Manchmal fragten sie, was sie denn von Putin hielte, oder sie flüchteten sich in ein unverbindliches ›Ach, Russland, dort ist es doch immer so schrecklich kalt, nicht wahr?‹. Manche gruben hastig im Gedächtnis nach ein paar russischen Wörtern oder versuchten sich zu erinnern, wer aus ihrem Bekanntenkreis schon einmal in Moskau oder Sankt Petersburg gewesen war.
»Und aus welcher Stadt?«, wollte Leah wissen. »Ich hoffe, meine Fragerei ist dir nicht unangenehm.«
Nein. Aber die Fragen machten sie nervös. Sie wartete geradezu nur darauf, dass einer von beiden ihren Vater ansprach – vielleicht war das alles nichts als ein weiterer Trick, endlich ein paar Informationen aus ihr herauszubekommen.
»Sankt Petersburg.« Von Moshajsk, wo sie geboren und aufgewachsen war, brauchte sie nicht anzufangen. Ihre leidenschaftlichen Vorträge über diesen Ort endeten bei ihren Zuhörern immer mit deutlichen Fragezeichen im Gesicht, während von Sankt Petersburg die meisten zumindest schon einmal gehört hatten.
Der Blick in Leahs Rehaugen verbarg nur schwer die romantische Neugier, etwas Frech-Entzücktes. »Wie lange kennt ihr euch schon, du und Nick?«
Das Thema ihrer geografischer Herkunft war somit offensichtlich abgehakt. Das Gefühl der Erleichterung verflog jedoch recht schnell. Was sollte sie den beiden erzählen? Juna biss vom Brötchen ab, kaute, lange und konzentriert. »Ich bin eine Woche in Deutschland.«
»Eine Fernbeziehung?«, schlug Leah vor.
»Hm?«
»Bist du hierhergekommen, um ihn sozusagen live kennenzulernen? Habt ihr euch vorher schon gesehen? Oder nicht?«
»Eeh – Ja. So-zu-sagen.« Sie biss noch einmal ab. Wie sollte sie das Gespräch nur umlenken, um mehr über Nick zu erfahren? »Warum hat er Zettel aus Zeitung über Tod von C éline ?«, fragte sie geradeaus und bereute es sogleich.
Leahs Blick wurde ausdruckslos. Und wie blass Kay geworden war! Eilig und etwas ungelenk legte er ein Croissant auf Leahs Teller, meinte: »Wir wollten doch etwas essen. Ich glaube, wir sollten mit der ganzen Fragerei eine kleine Pause einlegen, sonst kommen wir gar nicht mehr dazu.«
Leah lachte auf, etwas nervös, wie es Juna vorkam, und knuffte ihn in die Seite. »Ich bin doch so neugierig. Juna, du sagst einfach Bescheid, wenn du das Gefühl hast, dass ich dich zu sehr bedränge, oder? Wie hast du Nick kennengelernt?«
»Bin ihm vor Füße gefallen«, versuchte sie auszuweichen. Vielleicht war es sogar ein Witz. Bescheid und bedrängen würde sie später im Wörterbuch nachschlagen müssen. »Wann er kommt zurück?«
Kays Lächeln wurde unruhiger. »Hoffentlich bald.«
»Er bringt oft seine Freundinnen hierher, damit sie duschen und essen können? Sie haben es gewöhnlich … eh … gewohnt?«
»Sag am besten ›Du‹«, bat Kay. »Oder wolltest du ›ihr‹ sagen?«
Sie hätte sich gegen die Stirn schlagen können. Natürlich. Ihr. Sie hatte schon immer einen Hang dazu, dieses Pronomen zu vergessen.
»Und nein«, fuhr Kay fort, »es ist eine Premiere für uns. Mach dir keine Sorgen. Wir haben dich gern hier. Leah?« Er berührte die Hand seiner Freundin. »Iss doch etwas.«
Leah schloss ihre Finger um die seinen. »Vielleicht später.«
Etwas Trübes huschte über sein Gesicht. Leah sah ihn nicht an, dennoch schien sie es bemerkt zu haben, drückte seine Hand etwas kräftiger und senkte die Wimpern. »Später. Versprochen. Hast du nicht bald einen Fototermin?«
»Ja, aber ich kann ihn auch verschieben.«
»Quatsch. Wir kommen prima allein zurecht. Nicht wahr, Juna?«
Juna war sich nicht sicher. Trotzdem nickte sie, während sie irgendein seltsames Käse-Zeug auf ihr Brötchen drückte. Wie sehr sie Omas mit Wurst gebratene Makkaroni vermisste! Brötchen morgens, Brötchen abends, und jetzt auch noch mittags – so konnte sich doch kein vernünftiger Mensch ernähren. Sie schielte zu der dampfenden Schüssel, in der Teigteilchen in einer roten Soße schwammen. Es sah ein wenig nach verunglückten Pelmeni aus. Pelmeni …
Sie
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