Im Rachen des Alligators

in der Dunkelheit mit offenen Augen im Bett lag, und wahrscheinlich hatte sie große Angst. Angst war gut, dachte er. Veränderung erfordert Angst, auch das wusste er. Er wollte um ihretwillen, dass sie sich veränderte. Er hatte sich ein bisschen in sie verliebt.
    Er zog sich an und verließ leise das Haus. Verließ es mit dem Gedanken, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Fröhlich pfeifend schlenderte er in die Innenstadt.
    Er trank seinen letzten Schnaps, bestellte fünf weitere und kam zu dem Schluss, dass Oxycodon nicht mehr auftauchen würde. Anton hatte er an eine schummrige Ecke der Kneipe verloren. Anton, klein und kahlköpfig, beugte sich gerade über eine junge Frau, die Hand neben ihrem Kopf an die Wand gestützt. Valentin beobachtete, wie er sich zu der Frau hinunterneigte, um sie zu küssen, sodass ein blauer Scheinwerfer, den seine Schulter gerade noch verdeckt hatte, jetzt die Biergläser auf der Theke beleuchtete: eins, zwei, drei.
    Valentin glaubte, dass Dinge in Dreiergruppen Glück brachten. Er pflegte Treppenstufen zu zählen, die Häuser zwischen Querstraßen, Autos einer bestimmten Marke, und er glaubte an ein System der rückwirkenden Bestrafung jener, die auf solche Zeichen nicht achteten. Es war wichtig, die Sprache der Zeichen zu beherrschen und nicht im Stillstand zu verharren, wenn die Zeichen zum Handeln rieten. Er war davon überzeugt, dass man einem finsteren Schicksal entgehen konnte, indem man jeglichen Stillstand vermied. Irgendeine Form von Aberglauben war an all seinen Entscheidungen beteiligt.
    Heute hatte er bei Tim Hortons eine Suppe bestellt und zugesehen, wie das Mädchen die Kelle dreimal eintauchte, und dann hatte er draußen im Rinnstein fünf Dollar gefunden. Er hat einen wiederkehrenden Traum, in dem seine Mutter Suppe umrührt, und dieser Traum erfüllt ihn jedesmal mit rasendem Ehrgeiz. Immer der gleiche, schlichte Moment, aus dem Topf steigt Dampf auf, ein paar Haarsträhnen haben sich aus ihrem langen, dunklen Pferdeschwanz gelöst, sie dreht sich um und lächelt ihn an, berührt seinen Scheitel, und dann beugt sie sich zu ihm herunter und schließt ihn in die Arme. Beim Erwachen erfüllt ihn jedesmal eine namenlose Angst. Er will weiterkommen. So nennt er das bei sich, weiterkommen: einem anderen Ende entgegenstreben als seine Mutter, wie immer ihres auch ausgesehen haben mag. Sie war nach St. Petersburg gegangen, um Arbeit zu suchen, das hatten sie später von den Nachbarn erfahren, und dort hatte ihre Spur sich endgültig verloren. Sie hörten nie wieder von ihr.
    Am Billardtisch sah Valentin eine Frau stehen, die weiße, bis über die Oberschenkel geschnürte Lederstiefel mit Pfennigabsatz trug. Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Er stellte seine Schachfiguren für ein neues Spiel auf. Die Figuren waren aus Marmor und sahen aus wie jagende Inuit, die Türme waren Walrösser und die Bauern Seehunde. Valentin hielt die Königin in der Faust und fuhr mit dem Daumen über ihr gemeißeltes Gewand.
    Wenn sich die Frau über den Billardtisch beugte, hob sie manchmal den einen Stiefel an. Auf dem grünen Tuch lagen noch sieben Kugeln. Valentin gab dem Barkeeper ein Zeichen, der schenkte ein Bier ein und brachte es der Frau, die gerade ihren nächsten Stoß hatte ausführen wollen und sich nun stattdessen in der Bar umsah.
    Als ihr Blick schließlich auf Valentin fiel, hob er sein Schnapsglas. Sie wandte sich wieder dem Billardtisch zu und stieß mit einer harten, kurzen Bewegung die Kugel an, woraufhin auf dem Tuch alles klackernd in Bewegung geriet. Sie versenkte drei Kugeln.
    Er würde Isobel Turners Haus in Brand stecken und die Versicherungssumme kassieren. Er würde ihr Starthilfe für ein kleines Geschäft geben, und dann würde er aus Neufundland verschwinden. Er würde nie mehr zurückkommen und nie mehr daran zurückdenken. Er war auf eine kalte, hässliche Insel geraten, die kaum existierte, auf vielen Landkarten gar nicht verzeichnet war. Er war im Nirgendwo. Er sah vor sich, wie das Haus in der Morris Avenue inmitten eines tosenden Feuers zusammenstürzte.

Colleen
    Beverly und Colleen saßen im Food-Court des Atlantic Place; Beverly hatte einen Tisch ausgewählt, der möglichst weit von den vier Polizisten entfernt war. Die Gerichtsräume und der Termin mit der Frau von der Jugendhilfe waren oben. Ihre Tochter würde sich demnächst dort hinaufbegeben und mit Mr. Duffy zusammentreffen, er würde seine Meinung kundtun und Colleen würde den restlichen