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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Frotteebademantel, dessen Gürtel hinter ihm über den Teppich schleifte.
    David hatte mal eine Wohltätigkeitsveranstaltung organisiert, um Geld für jugendliche Rugbyspieler zu sammeln. Er hatte wochenlang Karten für das Gala-Dinner mit Tanz verkauft, damit auch die Kinder ärmerer Familien mit der Rugby-Mannschaft von St. John’s nach Schweden fahren konnten. Colleen hatte ihn damals im Radio gehört – seine Stimme hatte sehr emotional geklungen, von tiefster Überzeugung erfüllt: Jeder Junge und jedes Mädchen in dieser Mannschaft wird spielen.
    Etwas ziemlich anderes als Zucker in die Tanks von Bulldozern zu kippen. David hatte per Mail Fotos von sich und der Mannschaft geschickt. Auf einem der Bilder stand er vor dem Schaufenster einer Metzgerei, und hinter ihm hingen mit den Hörnern nach unten mehrere Ziegenköpfe, sehr weiß vor dem dunklen Innenraum der Metzgerei; in der Scheibe spiegelte sich ein Bus, der durch Davids Rücken rasen zu wollen schien.
    Wenn Colleen an die Folgen ihrer Handlung dachte, gestattete sie sich insgeheim einen unzulässigen, rauschhaften Stolz – ein so intensives Gefühl, dass ihr die Tränen kamen. Wenn sie die Gelegenheit hätte, würde sie das Gleiche wieder tun. Sie dachte an Jeanne D’Arc. An die Schwarz-Weiß-Version, die Schauspielerin mit feuchten Augen, in himmlisches Licht getaucht.
    Mr. John Harvey erhob sich von seinem Stuhl und kam auf ihren Tisch zu. Ein fast greifbarer, ranzig-kotiger Gestank drang aus seiner bis zum Hals geschlossenen Jacke.
    Colleen erinnerte sich, dass sie ihn im vergangenen Winter bei heftigem Eisregen hatte draußen sitzen sehen. Er saß auf einer Parkbank gegenüber vom Rathaus, und über ihm bog sich ein vereister Baum knarrend im Wind.
    Die ganze Stadt hatte wegen des Sturms dichtgemacht. Telefonmasten waren in der Mitte durchgebrochen, die Straßenlampen hatten einen diesigen, rosaweißen Hof, der von dem treibenden Eisregen schräg durchschnitten wurde. Colleen hätte den Mann damals am liebsten mit nach Hause genommen, ihm ihr Bett angeboten, egal was, Hauptsache, er saß nicht mehr in dieser Kälte.
    Mr. John Harvey blieb an ihrem Tisch stehen und bot Colleen ein Taschentuch an. Die Fingernägel seiner ausgestreckten Hand waren braun und abgekaut.
    Es bricht mir das Herz, ein junges Mädchen weinen zu sehen, sagte er. Einer der Polizisten stand auf. Die anderen drei folgten. Sie sahen wachsam und einsatzbereit aus.
    Ich habe gerade ein Déjà-vu, sagte Mr. John Harvey. Dieses Neonlicht setzt mir manchmal zu. Er machte eine Handbewegung zur Decke. Seit Vietnam habe ich Momente, wo ich hellsehen kann, allerdings nur ein bisschen. Was die uns da angetan haben. Mr. John Harvey schüttelte den Kopf.
    Beverly stand jetzt ebenfalls auf, ihre Handtasche kippte um, und ihr Lippenstift und ein paar Münzen fielen heraus. Einige rollten auf ihrem schmalen Rand bis zur Tischkante, fielen herunter und verteilten sich über den Boden. Mr. John Harvey starrte wie gebannt auf Beverly.
    Sie müssen die Mutter sein, sagte er. Einer der Polizisten schüttelte sein Hosenbein aus. Dann kam er zu ihnen herübergeschlendert.
    Ich habe ihm gerade erklärt, wie verloren man sich als Mutter fühlt, sagte Beverly zu dem Polizeibeamten.
    Natürlich fühlen Sie sich verloren, sagte Mr. John Harvey.
    Ich bin jetzt ganz allein, sagte Beverly.
    Genau genommen sind wir alle allein, sagte er.
    Sollte dieser Mann nicht Socken an den Füßen haben?, fragte Beverly den Polizeibeamten.
    Da kriegen meine Füße keine Luft, Ma’am. Der Polizist tippte Mr. John Harvey auf den Arm.
    Sie haben Ihren Kaffee jetzt getrunken, oder, Mr. Harvey?
    Ja, ich habe meinen Kaffee getrunken. Er drehte sich um und musterte das Gesicht des Polizisten.
    Sie haben Ihren Kaffee getrunken, sagte der Polizist.
    Irgendwas hat dieses junge Fräulein völlig verstört, Officer, sagte Mr. John Harvey. Während er sprach, legte er die Hand auf Colleens Schulter.
    Das junge Fräulein hat einen Termin im oberen Stockwerk, sagte Beverly.
    Ist schon gut, Mom, sagte Colleen.
    Da ist so ein Mann, flüsterte Mr. John Harvey Beverly zu. Er zog die Hand von Colleens Schulter weg, als hätte er sich verbrannt.
    Okay, Mr. Harvey, ganz ruhig jetzt, sagte der Polizist. Beverly schob ein paar der auf dem Tisch liegenden Münzen zusammen, fasste Mr. John Harvey am Handgelenk, drehte es um und legte ihm das Geld in die Hand.
    Was für ein Mann?, fragte sie. Er griff in seine Tasche, zog einen Salzstreuer heraus

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