Im Rausch der Freiheit
vorstehenden Zähnen. Trotz des warmen Wetters trug er Reitstiefel und einen schwarzen Mantel, der mit Schlamm bespritzt war. Er hatte harte, aber nicht unsympathische Gesichtszüge und stechende blaue Augen. Jetzt holte er eine Ledertasche aus dem Boot und schlang sie sich über die Schulter.
Die Indianer beobachteten ihn argwöhnisch. Einer von ihnen sprach ihn an, doch offensichtlich beherrschte er kein Algonkin. Durch eine einfache Geste gab er zu verstehen, dass er um Speise und Unterkunft bat; und es war bei den Algonkin nicht Brauch, derlei zu verweigern. Van Dyck bedeutete dem Fremden, sich neben ihn zu setzen.
Er brauchte nur wenige Augenblicke, um herauszufinden, dass der junge Mann ebenfalls kein Niederländisch sprach. Seine Muttersprache war Englisch, was van Dyck leidlich verstand. Allerdings erwies sich der blonde Mann im dunklen Mantel auch in dieser Sprache als wortkarg.
»Wo kommen Sie her?«, fragte van Dyck.
»Boston.«
»Was sind Sie von Beruf?«
»Kaufmann.«
»Was führt Sie hierher?«
»Ich war in Connecticut. Bin ausgeraubt worden. Hab mein Pferd verloren. Ich dachte, ich fahr den Fluss runter.« Er nahm die Schüssel Mais, die ihm angeboten worden war, und fing an zu essen, wodurch er weiteren Fragen auswich.
In Boston gab es nach van Dycks Kenntnis zwei Sorten von Leuten. Die erste waren die Gottesfürchtigen, die strengen Puritaner, deren Gemeinden im Lichte des Herrn lebten. Doch es war ein unbarmherziges Licht. Wenn Stuyvesant keine Toleranz gegen Außenseiter wie die Quäker zeigte und sie, wann immer er konnte, aus der Kolonie hinauswarf, so war das nichts gemessen daran, wie man in Massachusetts mit ihnen verfuhr: Man peitschte sie halb zu Tode, nach dem, was man so hörte. Allerdings schien ihm der Fremde keiner von den Gottesfürchtigen zu sein. Die zweite Sorte waren die Männer, die nach Neuengland gekommen waren, um durch Fischerei und Handel Geld zu verdienen. Zähe, harte Männer. Möglicherweise fiel der junge Fremde in diese Kategorie. Aber seine Geschichte klang wenig glaubwürdig. War er, aus welchem Grund auch immer, auf der Flucht und hatte sich nach Westen geschlagen, um seine Verfolger abzuschütteln? Und vielleicht auch noch das Boot gestohlen? Van Dyck beschloss, ihn im Auge zu behalten.
*
Tom Master hatte eine wahre Odyssee hinter sich. Seine Überfahrt nach Boston mit der englischen Kriegsflotte war von Stürmen begleitet gewesen. Als er Boston erreicht hatte und zum – jetzt von seinem Bruder bewohnten – Haus seiner Eltern gegangen war, hatte ihn Eliot mit einem Ausdruck des Entsetzens empfangen, dem ein stundenlanges Schweigen folgte, das, wie Tom befand, noch unangenehmer als die Stürme auf See war. Sein Bruder warf ihn nicht regelrecht aus dem Haus, doch er stellte auf seine ruhige, ernste Weise klar, dass ihrem Vater, mochte er auch tot sein, gehorcht werden müsse und dass Tom durch seinen Versuch, wieder in die Familie aufgenommen zu werden, gegen jede Regel des Anstands verstoßen habe.
Zuerst war Tom verletzt gewesen, dann zornig. Am dritten Tag hatte er beschlossen, die ganze Angelegenheit als einen Scherz zu behandeln; als sein Bruder gerade nicht im Zimmer war, hatte er gelacht.
Aber in Boston eine Anstellung zu finden erwies sich als weniger spaßig. Ob es nun an seinem schlechten Ruf lag oder aber daran, dass Eliot alle vor ihm gewarnt hatte – jedenfalls machte ihm keiner der Kaufleute, die er kannte, Hoffnungen. So viel war klar: Wenn er in Boston blieb, würde das Leben schwierig werden.
Er fragte sich außerdem, ob sein Vater ihn wohl in seinem Testament bedacht hatte. Doch als er seinen Bruder fragte und dieser erklärte: »Ja, aber nur unter gewissen Bedingungen, die du nicht erfüllst«, zweifelte er keinen Moment daran, dass dies der Wahrheit entsprach.
Was sollte er also tun? Nach London zurückkehren? Eliot würde ihm die Überfahrt wahrscheinlich bezahlen, wenn dies bedeutete, dass er endgültig aus Boston verschwand. Aber es ärgerte ihn, dass er sich von seinem eigenen Bruder aus der Stadt jagen lassen sollte.
Außerdem war da immer noch die andere Überlegung, die ihn überhaupt hierhergeführt hatte.
Die Flotte des Herzogs von York blieb im Hafen von Boston, und der Kommandant kümmerte sich nach außen hin um die Angelegenheiten des Herzogs in der Stadt. Aber eine Unterhaltung mit einem jungen Offizier hatte bald bestätigt, was Tom schon die ganze Zeit vermutete. Die Flotte sollte weiter nach Neu-Amsterdam segeln,
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