Im Rausch der Freiheit
Westen zeigen?«, sagte Theodor.
Es war eine großartige Gelegenheit gewesen. Ein Regierungsauftrag: die Landvermesser in den Wilden Westen zu begleiten und Photographien mit nach Hause zu bringen, die Siedler ins Land locken würden. Er hatte gute Arbeit geleistet. Weite, üppige Landschaften; Bilder von freundlichen Indianern. Seine Auftraggeber waren begeistert. Das Porträt eines kleinen Indianermädchens gefiel vor allem Frank Master, und er zahlte Theodor für einen Abzug einen guten Preis.
Doch der Journalist langweilte sich. Theodor sah es ihm an. Schnell führte er ihn in den größten Ausstellungsraum.
»So«, sagte er vergnügt. »Und das sind die Bilder, die ich, wie man mir sagte, besser nicht zeigen sollte.«
Denn es waren Bilder vom Bürgerkrieg.
*
Inzwischen wollte keiner mehr was vom Sezessionskrieg wissen. Früher, solange er andauerte, war jeder wissbegierig gewesen. Als der mürrische Schotte Alexander Gardner 1863 sein Bild Home of a Rebel Sharpshooter veröffentlicht hatte, wurde er schlagartig berühmt. Doch als er im Jahr nach Kriegsende seine vollständige Sammlung veröffentlichte, wollte sie keiner haben.
Dann war da noch Brady selbst. Die Leute glaubten oft, er habe jede Photographie vom Bürgerkrieg eigenhändig aufgenommen. Schließlich war auf so vielen Bildern der von ihm beschäftigten Photographen sein Name zu lesen – eine Tatsache, die diese bisweilen ärgerte. Doch eines musste man Brady schon lassen: Er war der Erste auf diesem Gebiet gewesen. Als die Konföderierten gleich zu Beginn des Krieges die Unionstruppen bei Bull Run vernichtend schlugen, war Brady auf dem Schlachtfeld dabei – und durfte von Glück sagen, nicht selbst zu den Gefallenen zu zählen.
Brady konnte nichts dafür, dass seine nachlassende Sehkraft es ihm zunehmend erschwerte, weiterhin selbst zu photographieren. Deshalb sandte er diese eifrigen jungen Männer aus, rüstete sie mit allem Notwendigen und sogar mit fahrbaren Dunkelkammern aus, finanzierte alles aus eigener Tasche. Und was hatte ihm das eingebracht, als der Krieg vorüber war? Den finanziellen Ruin.
»Die Leute wollen nicht an diese Gräuel erinnert werden«, sagte Theodor. »In dem Moment, als der Krieg vorbei war, wollten sie ihn vergessen.« Im Süden, hatte er gehört, war das qualvolle Bewusstsein der Niederlage so unerträglich, dass eine ganze Reihe Photographen sogar ihre Arbeiten vernichteten.
»Warum zeigen Sie dann diese Bilder?«, fragte Horace Slim.
»Ich schätze, aus demselben Grund, aus dem Sie schreiben«, antwortete Theodor. »Ein Photograph und ein Journalist haben beide die Pflicht zu dokumentieren: die Wahrheit zu sagen und den Menschen nicht zu gestatten, vorzeitig das Elend zu vergessen.«
»Die Schrecken des Krieges, meinen Sie – die Toten?«
»Eigentlich nicht. Die waren natürlich wichtig, Mr Slim, aber die haben schon andere festgehalten.«
»Wie zum Beispiel Brady.«
»Genau. 1862, als die schlimmsten Schlachten begannen, begleiteten Mitarbeiter von Brady den General Ulysses Grant auf seinem Feldzug nach Tennessee. Sie dokumentierten das Gemetzel von Shiloh. Bradys Jungs waren in dem Sommer in Virginia, als Stonewall Jackson und General Lee Richmond vor der Zerstörung bewahrten. Und in Kentucky, als die Konföderierten in die Gegenoffensive gingen, und in Maryland, als Lee in dem Herbst bei Antietam zurückgeschlagen wurde. Erinnern Sie sich an die große Ausstellung, die Brady nach dieser Schlacht veranstaltete und in der er der Welt vorführte, wie das Schlachtfeld nach diesem grauenvollen Gemetzel aussah? Es ist mir unbegreiflich, Sir, dass diese Bilder nicht sofort jedem Krieg ein Ende machten.« Er schüttelte den Kopf. »Im darauffolgenden Sommer schickte Brady seine Photographen aufs Schlachtfeld von Gettysburg, aber ich war keiner von ihnen – ich wurde erst ein paar Monate später ein Brady-Fotograf. Insofern hatte ich vielleicht eine andere Aufgabe. Wie auch immer« – er deutete mit einer weit ausholenden Geste auf die ringsum aufgehängten Photographien –, »hier sehen Sie, was ich gemacht habe.«
Der Journalist ließ sich Zeit, was durchaus in Theodors Sinne war. Das erste Bild, das ihn zu interessieren schien, war Hudson River übertitelt. Es zeigte in körnigen, staubigen Grautönen eine New Yorker Straße. Ein paar Häuserblocks weiter endete die Straße, und dahinter gähnte eine gewaltige Leere, die eindeutig der Hudson war, auch wenn man den eigentlichen Fluss nicht sehen
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