Im Rausch der Freiheit
verlangte er, dass von nun an seine Frau »Mrs Astor« genannt werden sollte, während Caroline sich mit der weniger ehrenvollen Bezeichnung »Mrs William Astor« begnügen müsse.
»Natürlich«, sagte Rose, »war er nie ein Gentleman. Er hat sogar historische Romane geschrieben.«
Jedenfalls weigerte Mrs Astor sich, völlig zu Recht, wie Rose fand. Alter und Ansehen sollten die ihnen gebührende Ehre erhalten. Und so war der junge Astor eingeschnappt nach England abgereist und nie zurückgekehrt. Nahm sogar – Abtrünniger, der er war – die britische Staatsbürgerschaft an. Seiner Tochter zu erlauben, einen englischen Aristokraten zu heiraten, war, wie Rose fand, eine Sache; aber selbst Engländer zu werden eine ganz andere.
»Wie man mir erzählte, wohnt er jetzt in einem Schloss«, bemerkte Hetty Master. Tatsächlich hatte er Hever Castle in Kent gekauft, wo Anne Boleyn ihre Kindheit verlebt hatte. »Vielleicht schreibt er dort ja noch einen Roman«, fügte sie hinzu.
Dennoch hatte er es geschafft, sich an seiner Tante zu rächen, indem er an der Stelle seines ehemaligen New Yorker Hauses ein zwölf Stockwerke hohes Hotel bauen ließ. Es überragte ihr Haus und machte jedes Privatleben unmöglich. Er nannte es »Waldorf-Hotel«.
Vier Jahre später gab sie sich geschlagen und zog weiter stadtaufwärts. Die Familie Astor riss ihr Haus ab und errichtete dort ein zweites Hotel, das Astoria, und schon bald wurden die zwei Gebäude durch die prächtige »Pfauengasse« verbunden und zu einem einzigen Hotel vereinigt. Rose weigerte sich bis zum heutigen Tage, einen Fuß dort hineinzusetzen.
»Mrs Astor verdient es, dass man ihr ein Denkmal setzt«, stellte sie mit Entschiedenheit fest.
Hetty schwieg eine Weile, bevor sie sagte: »Es heißt, sie sei inzwischen vollkommen schwachsinnig.«
»Es geht ihr nicht gut«, räumte Rose ein.
»Nun, ich habe gehört, dass sie schwachsinnig ist«, sagte Hetty gnadenlos.
Der Rolls-Royce erreichte jetzt die Forties der Fifth Avenue. Das alte Reservoir war nicht mehr in Gebrauch, und an dessen Stelle sollte eine prächtige neue öffentliche Bibliothek entstehen. Jeder in der Familie wusste, dass dies der Ort war, an dem Frank einst Hetty seinen Heiratsantrag gemacht hatte, und Rose wahrte respektvolles Schweigen, während Hetty im Vorbeifahren den Blick auf der Stätte ruhen ließ. Bald ragten die weißen Spitzen der neugotischen St. Patrick’s Cathedral rechts vor ihnen auf. Als sie die Fifties erreichten und die neuen Hotels sahen, die auf die Vanderbilt-Paläste herabschauten, bemerkte Hetty, dass neuerdings alles in der Stadt sehr hoch zu werden schien. »Es überrascht mich, dass ihr, bei all diesen Hotels, gern hier wohnt«, sagte sie.
»Es ist eine Nebenstraße«, sagte Rose.
»Ich weiß«, sagte Hetty. »Trotzdem …« Auf ihren Wunsch hin bogen sie in die 57th Street in westlicher Richtung ein, vorbei an einer schönen Konzerthalle, die Mr Carnegie, der Stahlmagnat, finanziert hatte. Die neuen Millionäre mochten nicht immer viel Lebensart besitzen, aber sie wussten ohne Frage, wie sie die Künste unterstützen konnten. »Ich war auf der Eröffnungsgala«, erinnerte Hetty sich. Es war sechzehn Jahre her. »Tschaikowsky hat selbst seinen Festmarsch dirigiert.«
Kurz darauf brausten sie die Central Park West hinauf. Die Straße gewann in letzter Zeit zunehmend an Flair. Das Dakota hatte Gesellschaft bekommen: Schon einen Block weiter erhob sich das Langham, sein schlankeres Pendant. Weitere prächtige Gebäude blickten ebenfalls auf den Park.
Lily de Chantal wartete bereits im Foyer des Dakota. Die Jahre waren schonend mit ihr umgegangen, denn sie sah noch immer anziehend aus. Die zwei Frauen umarmten sich und setzten sich nebeneinander in den Fond, während Rose neben dem Chauffeur Platz nahm.
»Wir fahren als Erstes zum Riverside Drive«, sagte Hetty.
Die Upper West Side mochte insgesamt nicht so elegant sein, aber sie hatte viele schöne Straßen vorzuweisen. An der West End Avenue gab es Häuser mit großen Empfangssälen, eleganten geschwungenen Treppen und Musikzimmern oder Bibliotheken. Manche der Etagenhäuser waren wahrhaft prächtig – hier eine exquisite Fassade, die aus einer mittelalterlichen flandrischen Stadt hätte stammen können, nur auf die doppelte Höhe aufgestockt; da ein riesiger, mit eingelassenen Bossenquadern geschmückter Backsteinbau, so groß wie ein Schloss und mit den Zwiebeldachmansarden der französischen Belle Époque
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