Im Rausch der Freiheit
auch deine Frau werden sollte.«
Es wäre leichter gewesen, wenn Teresa in der Stadt gewohnt hätte, sodass er mehr Zeit mit ihr verbringen könnte. Doch bei jeder Begegnung verspürte er ein wachsendes Gefühl der Freundschaft und Zärtlichkeit, und obwohl sie sich hütete, zu viel preiszugeben, war er sich sicher, dass sie ebenfalls etwas für ihn empfand. Sie hängte sich jetzt immer bei ihm ein, und sie erlaubte ihm, sie auf die Wange zu küssen. Als der Sommer sich zum Ende neigte, entschied er, dass es an der Zeit sei, die Beziehung zu vertiefen. Und er überlegte noch hin und her, welchen Schritt er als Nächstes unternehmen könnte, als sie selbst die Initiative ergriff.
Ende August geschah etwas, was alle Italiener und die meisten Frauen der westlichen Welt erschütterte. Rudolph Valentino, der Latin Lover, der am meisten angebetete männliche Stummfilmstar, starb plötzlich nach einer Operation in New York. Er war erst einunddreißig Jahr alt. Als sein Tod bekannt wurde, strömten hunderttausend Menschen zum Krankenhaus.
Sein letzter Film, Der Sohn des Scheichs, war gerade herausgekommen, und vor den Lichtspieltheatern bildeten sich lange Schlangen. Ein paar Tage später sahen Salvatore und Teresa, von ihrer Cousine und Angelo begleitet, sich den Film an. Nach der Vorstellung erzählte Teresa ihm, dass es am nächsten Sonntag bei ihnen zu Hause ein großes Festessen geben würde, und fragte beiläufig, ob er und Angelo nicht auch kommen wollten.
Sie wünschte also, dass er ihre Familie kennenlernte.
Am Samstag fuhren die zwei Brüder nach Long Island und besuchten Teresas Eltern. Es war strahlendes Wetter. Von Giuseppes Haus brauchten sie zu Fuß nur eine Stunde bis nach Inwood.
Teresas Familie wohnte in einem großen holzverkleideten Haus. Es stand auf einem recht großen Grundstück und hatte eine breite Veranda und an einer Ecke ein viktorianisches Türmchen. Hinten stand noch ein kleineres Nebengebäude. Als die Caruso-Brüder eintrafen, hielt Teresa schon nach ihnen Ausschau, führte sie ins Haus und machte sie mit allen bekannt.
In kürzester Zeit machten sie die Bakanntschaft von drei Brüdern – von denen zwei verheiratet waren – sowie einer verheirateten und zwei ledigen Schwestern. Und obwohl Teresas verheiratete Schwester und einer der Brüder jeweils ihren eigenen Haushalt in der Nähe hatten, war dieses Haus offensichtlich der Mittelpunkt des Familienlebens.
Alle waren freundlich, und es ging hoch her. Ein halbes Dutzend Kinder wuselten herum. Teresas Geschwister unterhielten sich mit Salvatore auf Italienisch, doch ihre Kinder schienen Englisch zu reden. »Meine Eltern sprechen ein bisschen Englisch«, sagte Teresa mit einem Lächeln, »aber untereinander reden sie normalerweise Arbërisht.«
Sie führte sie in die Küche. »Das sind Salvatore und Angelo«, sagte sie zu einer Frau mit einem energischen Gesicht, die sie mit einem scharfen, prüfenden Blick bedachte. »Meine Mutter«, erklärte Teresa. »Und das« – sie wandte sich zu einem groß gewachsenen Mann mit graumeliertem Bart, der gerade ins Zimmer trat – »ist mein Vater.«
Teresas Vater bewegte sich mit gelassener Würde. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er das Oberhaupt dieser Großfamilie war. Salvatore fühlte sich an Bilder von Garibaldi erinnert. Der Vater begrüßte die zwei jungen Männer höflich, sagte darüber hinaus indes nichts.
Salvatore erkannte schnell, dass er und Angelo die einzigen Anwesenden waren, die nicht zur Familie gehörten. Noch bevor sie sich zu Tisch setzten, erfuhr er, dass Teresas Vater außer einigen Feldern auch einen Obst- und Gemüseladen besaß, den er zusammen mit einem seiner Söhne führte. Sein Schwiegersohn handelte mit Meeresfrüchten, und seine zwei anderen Söhne betrieben ein Transportunternehmen.
Die Tische waren im größten Zimmer des Hauses zu einem großen T angeordnet worden, sodass die vierzehn Erwachsenen und sechs Kinder alle zusammen Platz fanden. Teresa saß zwischen Salvatore und Angelo. Ihr Schwager, ein untersetzter, ernst dreinschauender Mann von dreißig, saß Salvatore gegenüber. Ihr Vater thronte am Kopfende der Tafel nur ein paar Stühle entfernt, sodass er alle im Blick hatte. Zu Beginn der Mahlzeit richtete er höflichkeitshalber ein paar Fragen an Salvatore, erkundigte sich nach seiner Familie und seiner Herkunft.
Salvatore antwortete, er sei Italiener und wohne in der Stadt, der Rest der Familie lebe auf Long Island; sein älterer
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