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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Zeit, zum Erscheinen von Edmund Kellers Buch gegeben hatte. Und sie versprach, Leute zur Vernissage mitzubringen.
    »Ich möchte, dass Sie mir mindestens dreißig Einladungen zum Verschicken geben, meine Liebe. Ich werde einen Begleitbrief schreiben und telefonieren. Ich kenne jede Menge Leute, die bestimmt etwas kaufen werden.«
    »Das wäre ganz wunderbar, Mrs Master«, sagte Sarah.
    Sie verließen gerade das Gebäude, als es zu einem winzigkleinen Zwischenfall kam. George, der Portier, hatte ein Taxi herangewinkt. Charlie, weil er eine Abneigung gegen die Unsitte hegte über die Sitzbank zu rutschen, ging also auf die andere Seite des Taxis, während George Sarah den Schlag aufhielt. Und gerade als Sarah in das Fahrzeug einstieg, sah er den Portier mit einem verächtlichen Ausdruck auf sie hinunterschauen.
    »Gibt’s ein Problem, George?«, fragte er scharf.
    »Nein, Mr Master.«
    »Das will ich auch hoffen«, sagte Charlie drohend. Eines Tages würde er diese Wohnung erben, also sollte George sich besser in Acht nehmen. Er stieg mit finsterer Miene neben Sarah ein.
    »Und«, sagte sie beiläufig, als das Taxi losfuhr, »worum ging’s eben?«
    »Nichts.«
    »Auch als wir angekommen sind, hat er mich so angeschaut. Da hast du es nur nicht bemerkt.« 
    »Ich sorge dafür, dass er gefeuert wird.«
    Sarah starrte kurz aus dem Fenster und wechselte dann das Thema. »Deine Mutter ist klasse«, sagte sie. »Sie könnte uns mit diesen persönlichen Einladungen wirklich sehr behilflich sein.«
    Eine Woche später aß Charlie bei seiner Mutter zu Abend, als sie auf Sarah zu sprechen kam.
    »Deine Freundin scheint ein nettes Mädchen zu sein.«
    »Von wem sprichst du?«
    »Dem Mädchen, mit dem du neulich hier warst.«
    »Sarah Adler. Ich glaube, sie macht das mit der Ausstellung sehr gut.«
    »Da bin ich mir sicher, mein Lieber; sie wirkt sehr kompetent. Sie ist außerdem deine Geliebte.« Rose sah ihm in die Augen. »So was kann ich erkennen, weißt du.«
    »Oh.«
    »Sie ist sehr jung. Kommst du damit zurande?«
    »Ja.«
    »Das ist schön. Gibt es Probleme, weil sie Jüdin ist?«
    »Sollte es?«
    »Sei nicht albern, Charlie. Obwohl das hier nicht direkt ein jüdisches Haus ist, weißt du.«
    »Der verfluchte Portier war unverschämt.«
    »Was hattest du erwartet? Die Frage hat sich meines Wissens zwar noch nie gestellt, aber ich glaube nicht, dass der Vorstand der Eigentümergemeinschaft zulassen würde, dass ein Jude sich in dieses Haus einkauft.«
    Auch das war ein Merkmal des Apartmentlebens in der City, das Charlie von jeher belustigt hatte. Die meisten eleganten Apartmenthäuser an der Park Avenue waren mittlerweile Genossenschaften. Seine Mutter wohnte nicht mehr zur Miete, sondern war Anteilseignerin des Gebäudes. Und die Anteilseigner wählten einen Vorstand, der befugt war, gegen jeden, der sich einzukaufen versuchte, ein Veto auszusprechen. Wenn man also beabsichtigte, seine Wohnung an jemanden zu verkaufen, der für unerwünscht befunden wurde, konnte der Vorstand einem einen Strich durch die Rechnung machen. Manchmal begründete er seine Ablehnung. Manchmal auch nicht. Aber die unausgesprochenen Regeln waren jedem bekannt.
    »Das ist doch absurd!«, sagte er. »Herrgott, wir leben in den Fünfzigerjahren!«
    »Es gibt jede Menge Häuser, die so verfahren. Jedenfalls auf der West Side.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Du hast doch nicht vor, sie zu heiraten, oder?«
    »Nein!« Er wäre selbst nie auf die Idee gekommen.
    »Sie könnten dich dafür aus dem Gesellschaftsregister streichen, weißt du.«
    »Daran hatte ich nicht gedacht.«
    »Nun, ich bin sicher, dass es so kommen würde. Sie haben nichts dagegen, dass man arm ist«, sagte Rose, »doch sie achten sehr darauf, wen man heiratet.«
    »Zum Teufel mit dem Register!«
    »Wie auch immer«, sagte sie nüchtern, »eine zweite Familie könntest du dir ohnehin nicht leisten, oder?«
    *
    Eine weitere Nebenwirkung dieser Beziehung war Charlies Erkenntnis, dass er genau genommen nicht viel über den Judaismus wusste. Er hatte jüdische Freunde; er besuchte vielleicht ab und zu eine jüdische Hochzeit oder Beerdigung. Soweit Charlie es beurteilen konnte, schien sich das jüdische Hochzeitsritual, abgesehen von der Chuppa – dem Traubaldachin – und dem Zerbrechen des Glases, nicht allzu sehr von einer christlichen Hochzeit zu unterscheiden. Die vertrauten christlichen Segensformeln waren ganz offensichtlich unverändert aus der hebräischen Tradition

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