Im Rausch der Freiheit
übernommen worden.
Darüber hinaus wusste er allerdings äußerst wenig. Manchmal stellte er Sarah Fragen über ihr Familienleben und über jüdische Bräuche. Er wurde mit der Zeit richtig neugierig.
Es war Ende März, als Sarah ihn fragte:
»Hast du Lust, zu einem Sederabend zu kommen?«
»Einem Seder? Wo?«
»In Brooklyn. Bei meiner Familie.«
»Du meinst, deine Eltern kennenzulernen?« Ihm war wohl bewusst, dass Sarahs Eltern nichts von ihrer Beziehung ahnten. Von allem Übrigen abgesehen, glaubten – oder zumindest hofften – die Adlers noch immer, dass ihre Tochter nach wie vor Jungfrau war. Die Vorstellung, sie kennenzulernen, reizte Charlie, doch sie machte ihn auch nervös. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
»Sie würden sich sehr geehrt fühlen. Vergiss nicht, sie haben von dir als dem Eigentümer der Keller-Sammlung gehört. Für sie bist du mein erster wirklich wichtiger Kunden. Sie wissen, dass du eine große Nummer für mich bist.«
Als der Tag gekommen war, fuhr Charlie über die Williamsburg Bridge und dann durch Brooklyn in südlicher Richtung. Er kannte sich in diesem Stadtbezirk nicht sonderlich gut aus. Wusste nur, dass sich dort meilenlange Hafenanlagen hinzogen sowie die endlose Ansammlungen von Kleinbetrieben, Lagerhallen und Fabriken, die Brooklyn zu einer der größten Produktionsstätten bundesweit machten.
Unnötig zu sagen, das Sarah ihm eine detaillierte Wegbeschreibung samt Planzeichnung mitgegeben hatte, sodass er leicht das Haus ihrer Eltern fand. Sie machte ihm die Tür auf und führte ihn hinein.
Alle waren da: ihre Eltern, ihre Brüder, ihre Schwester Rachel und deren Familie. Sogar Sarahs Tante Ruth aus der Bronx, die Robert Moses wie die Pest hasste, war gekommen. Er fühlte sich als der einzige Nichtjude im Haus ein wenig fehl am Platze, aber die Adlers schienen überhaupt nichts dabei zu finden. Wie Sarah ihm gesagt hatte, war er der Ehrengast. »Wir werden Ihnen den Ablauf des Seders nach und nach erklären«, versicherte ihm ihre Schwester Rachel. Diese Vorstellung schien die ganze Familie zu erfreuen.
Dr. Adler entsprach in jeglicher Hinsicht Charlies Erwartungen. Für ihn als den Familienvater war dies ein sehr wichtiger Tag, und sein Gesicht strahlte förmlich vor Freude. Charlie brauchte nur ein paar Augenblicke, um ihn in ein Gespräch über die Komponisten, die er am liebsten spielte, und die Pianisten, die Charlie in der Carnegie Hall erlebt hatte, zu verwickeln.
Die Familie wollte außerdem etwas über die Theodor-Keller-Ausstellung erfahren, für die Sarah so hart arbeitete. Also erzählte er ihnen von der schon Generationen währenden Beziehung seiner Familie zu den Kellers und von seiner engen Freundschaft zu Edmund Keller und von der großen Ehre, die es für ihn bedeutete, dass Edmund ihm dieses Vermächtnis anvertraut hatte.
»Für mich«, erklärte er, »ist das Bewahren und Ausstellen der Sammlung eine Pflicht der Familie Keller gegenüber. Aber es ist mehr als das. Ich schulde außerdem dem Werk an sich meine allergrößte Bewunderung.«
Er wandte sich zu Dr. Adler. »Stellen Sie sich vor, was für ein Gefühl es wäre, wenn die Erben eines Komponisten, den Sie bewundern, Ihnen sämtliche Schriften überließen und Sie darunter Dutzende von Kompositionen, selbst ganze Sinfonien fänden, die noch nie aufgeführt oder veröffentlicht worden sind.«
Dies wurde mit großem Respekt zur Kenntnis genommen.
»Das ist eine große Verpflichtung«, sagte Dr. Adler.
»Nun«, sagte Charlie, der seine Chance gekommen sah, »und da bin ich Ihrer Tochter einfach unendlich dankbar für die hervorragende Arbeit, die sie in der Galerie leistet. Das bedeutet mir sehr viel.«
Dr. Adler strahlte. Die ganze Familie war sichtlich entzückt. Wenn sie bis dahin freundlich und entgegenkommend gewesen war, wurde ihr Verhalten ihm gegenüber jetzt richtiggehend herzlich.
Nur ein einziger Missklang schlich sich in den Abend ein. Charlie unterhielt sich gerade mit Rachel, als er ein kurzes Gespräch mithörte, das Sarah und ihre Mutter ganz in seiner Nähe führten.
»Also«, hörte er Mrs Adler sagen, »du hast es mir noch immer nicht verraten. Wann triffst du dich wieder mit Adeles Enkel?«
»Ich weiß nicht. Bald vermutlich.«
»Adele sagt, er hätte dich zum Abendessen in der Stadt ausgeführt.«
»So was wie Privatsphäre gibt’s hier wohl nicht, wie?«
»Sie sagt, dass du ihm sehr gefällst.«
»Und das weiß sie, ja?«
»Ja, das hat er
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