Im Rausch der Freiheit
beschreiben könnte. Vielleicht ist dort noch etwas frei.«
»Ich pfeife auf das andere Hotel! Ich habe hier reserviert! Ich bestehe auf meinem Zimmer!«
»Es tut mir schrecklich leid.«
»Charlie.« Es war Sarah, die jetzt neben ihm stand. »Komm rüber an den Kamin, Charlie«, sagte sie leise. »Ich will dir etwas sagen.« Mit einem gereizten Achselzucken folgte Charlie ihr.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»Charlie, ich will nicht hierbleiben. Ich erklär’s dir im Auto.« Charlie begann zu protestieren, aber sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bitte, Charlie.«
Wütend und verwirrt nahm Charlie die zwei Koffer und begleitete sie hinaus zum Wagen. Sobald sie drinnen saßen, wandte sie sich zu ihm.
»Es liegt an mir, Charlie. Er hatte erst, als er mich gesehen hat, angeblich kein Zimmer mehr.«
»Du meinst, er hat gesehen, dass du keinen Ehering trägst? Ich kann mir kaum vorstellen …«
»Nein, Charlie. Meinen Anhänger hat er gesehen.«
»Deinen Anhänger?«
»Den Davidsstern. Da hat er begriffen, dass ich Jüdin bin.«
»Das ist doch absurd!«
»Sie wollen in diesem Hotel keine Juden haben, Charlie. Wir sind hier in Connecticut – wie weit ist es von hier nach Darien?«
Es hieß, in Darien könne ein Jude nicht einmal ein Haus kaufen. Charlie wusste nicht, ob das stimmte; höchstwahrscheinlich war es nur ein hässliches Gerücht. Und überhaupt sollen die Schrecken der Dreißigerjahre und der Krieg doch längst mit derlei Vorurteilen aufgeräumt haben. Man war nicht mehr antisemitisch.
»Das glaube ich nicht.«
»Wenn du mit mir ausgehst, Charlie, musst du dich damit abfinden, dass so was immer wieder mal passieren wird. Glaubst du, es gibt viele Country Clubs, die einen Juden reinlassen? Meine Mutter wurde von einer Bank gefeuert, nur weil sie Jüdin war. Willst du mir etwa erzählen, dass in deinem Bekanntenkreis oder in deiner Familie niemand je antisemitische Bemerkungen fallen lässt?«
Charlie dachte kurz nach und zuckte dann die Achseln. »Okay. Vielleicht gelegentlich. Aber das ist einfach nur so eine episkopale, geldadlige Marotte. Leute wie meine Mutter sehen auf jeden herab, der nicht einer von ihnen ist. Juden, Iren, Italiener, du weißt schon. Es ist lächerlich, aber sie denken sich überhaupt nichts dabei. Ich meine, sie würden niemals …«
»Du hast recht, Charlie. Tut mir leid. Und, was ist es für ein Gefühl, aus einem Hotel rausgeworfen zu werden?«
»Ich werde ihn zwingen, uns dieses Zimmer zu geben.«
»Fahr mich einfach zurück, Charlie. Es war sehr lieb von dir, mich hierherzubringen, aber könnten wir bitte in der Stadt essen?«
Und im Laufe der folgenden Wochen erkannte Charlie, dass sie recht hatte. Da er viel in der Kunst- und Theaterwelt verkehrte, hatte er natürlich schon immer viele jüdische Freunde gehabt. Wenn er mit ihnen zusammen war, kam es gelegentlich vor, dass sie auf ihre Herkunft anspielten oder ihn ein bisschen damit aufzogen, dass er ein episkopaler Aristokrat sei. Aber das passierte eher selten. Und wenn er unter seinesgleichen war, unter Leuten etwa, die er von der Schule oder von der Universität her kannte, fielen vielleicht mal Bemerkungen über die unterschiedlichen Rassen, die man sich vor anderen Leuten verkniffen hätte. Harmlose Vorurteile, unschuldige Witze. Sie schienen kaum von Bedeutung zu sein, solange man von fremden Leuten redete. Doch jetzt begann er, die Sache mit anderen Augen zu sehen.
*
Er hatte Sarah oft von seiner Familie erzählt. Kleine Anekdoten über ihr früheres Leben und über seine Mutter, die in fast jeder Hinsicht ein eindrucksvolles Relikt jener vergangenen Epoche war und blieb.
»Ich würde dich sehr gern mit ihr bekannt machen«, sagte er einmal.
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee wäre«, entgegnete Sarah.
Doch er vergaß die Sache nicht, und eines Nachmittags Anfang März, nachdem sie in einer Galerie auf der 57th gewesen waren, sagte er plötzlich zu ihr: »Komm, lass uns die Park Avenue rauflaufen und meine Mutter besuchen!«
»Ich weiß nicht, Charlie«, sagte Sarah. »Wie willst du mich erklären?«
»Ganz einfach: Du bist die Frau, die die Keller-Ausstellung organisiert. Ich hab dir doch gesagt, dass die Masters Theodor Kellers erste Gönner waren.«
»Wenn du meinst …«, erwiderte sie wenig überzeugt.
Tatsächlich war die Sache ein voller Erfolg. Seine Mutter schien sich über ihren Besuch sehr zu freuen. Sie erzählte Sarah von dem großen Fest, das sie damals, vor langer
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