Im Rausch der Freiheit
werde. Der Baas sagte: »Dann gib ihn Quash«, doch sie ließ sich nicht von ihrer Absicht abbringen. Und so stand sie da und hielt Marthas Hand und gab ihr das Getränk. Martha würgte es mit Not herunter, aber vielleicht tat es ihr ja wirklich ein bisschen gut, denn danach war sie ruhiger. Erst da gelang es mir, Juffrouw Clara aus dem Zimmer zu schicken.
Doch alle Liebe und aller Opfermut waren vergebens.
Am Abend verstarb meine kleine Martha. Völlig erschöpft war ihre Mutter kurze Zeit vorher in einen unruhigen Schlaf gefallen. Und da ich nicht wollte, dass das tote Kind bei ihr im Zimmer lag, nahm ich Martha hoch und schlich mich hinunter in den Hof. Und der Baas sagte, ich könnte sie fürs Erste in den Stall legen und dass es vielleicht gut wäre, wenn ich sie noch in dieser Nacht begrub.
Als ich zurückkam, versuchte Naomi gerade, sich aufzusetzen, und sah sich nach Martha um.
»Wo ist sie?«, rief sie.
»Unten ist es kühler«, sagte ich. Ich brachte es in dem Moment nicht über mich, ihr die herzzerreißende Wahrheit zu offenbaren. »Da kann sie ein Weilchen liegen.« Aber gerade da hörten wir durchs Fenster Juffrouw Clara weinen. Sie hatten es ihr also gesagt.
»Sie ist tot, stimmt’s?«, sagte Naomi. »Meine kleine Martha ist tot.«
Ich weiß nicht mehr, was mit mir los war, doch ich brachte keinen Ton heraus. Da fiel Naomi aufs Bett zurück und schloss die Augen.
In der Nacht ging das Fieber dann richtig hoch. Sie fröstelte und glühte.
»Ich werde sterben, Quash«, sagte sie zu mir. »Heute Nacht werde ich sterben.«
»Du musst durchhalten, wenn’s irgendwie geht«, sagte ich. »Wir brauchen dich, Hudson und ich.«
»Ich weiß«, sagte sie.
Am nächsten Morgen, es war der 17. Mai 1691, fing es an zu regnen. Es war ein feiner, anhaltender Regen. Ich pflegte Naomi, hatte an diesem Tag für nichts anderes auf der Welt Zeit und Interesse. Am Nachmittag kam der Baas auf den Hof und erkundigte sich nach Naomis Zustand.
»Hast du davon gehört?«, fragte er dann. »Sie haben heute den armen Leisler auf den Richtplatz geschleppt und aufgeknüpft.«
»Es tut mir leid, Baas«, sagte ich.
»Die Herrin nimmt das sehr mit«, sagte er. »Sie haben ihm den Tod eines Hochverräters gegeben. Und seinem Schwiegersohn Milbourne desgleichen.«
Ich wusste, was das bedeutete. Man wird aufgehängt, aber nicht lang genug, um davon zu sterben. Dann bekommt man die Eingeweide herausgerissen und schließlich den Kopf abgehackt. Es war schwer, sich vorzustellen, dass so etwas einem Gentleman wie Jakob Leisler widerfahren war.
»Er war nicht mehr ein Verräter als ich«, sagte der Baas. »Die Leute nehmen sich Fetzen von seiner Kleidung als Reliquien. Sie sagen, er sei ein Märtyrer.« Er seufzte. »Übrigens, dein Sohn Hudson sollte, glaube ich, heute Nacht in der Küche bleiben.«
»Ja, Baas«, sagte ich.
In der Nacht regnete es weiter. Ich fragte mich, ob die Kühle Naomi helfen würde, aber es sah nicht so aus. Bis Mitternacht wälzte sie sich hin und her und schrie im Fieber. Dann wurde sie ruhiger. Ihre Augen waren geschlossen, und ich konnte nicht erkennen, ob sie auf dem Weg der Besserung war. Gegen Morgen merkte ich, dass der Regen aufgehört hatte. Naomi atmete ganz flach und schien sehr schwach zu sein. Dann schlug sie die Augen auf.
»Wo ist Hudson?«, fragte sie.
»Ihm geht’s gut«, sagte ich.
»Ich will ihn sehen«, flüsterte sie.
»Das darfst du nicht«, sagte ich.
Da schien sie in sich zusammenzusinken. Gegen Morgen stand ich auf und ging für einen Augenblick nach draußen, um etwas frische Luft zu schnappen und mir den Himmel anzusehen. Im Osten stand der Morgenstern.
Als ich wieder hineinging, war Naomi nicht mehr da.
*
In den Tagen nach dem Begräbnis waren der Baas und die Herrin sehr gütig zu mir. Der Baas sorgte dafür, dass ich genug zu tun hatte, und er achtete darauf, dass auch Hudson arbeitete. Es war richtig, dass er das tat. Die Herrin sagte zwar nicht viel, aber man sah ihr an, dass sie die öffentliche Hinrichtung von Mijnheer Leisler tief erschüttert hatte. Man begrub ihn auf einem Grundstück der Leislers. Die Reichen, die Aristokraten, schwelgten in ihrem Triumph, aber der Gouverneur, so hieß es, hatte ein schlechtes Gewissen wegen dieser Verurteilung ohne fairen Prozess, er verfiel dem Trübsinn und dem Alkohol.
Eines Tages, als ich im Hof arbeitete, trat die Herrin auf mich zu. Sie sah traurig aus. Nach einer Weile sagte sie: »Du und Naomi wart glücklich
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