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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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denen ich bediente. So gab es nach all den Jahren nicht viel, was ich vom Familiengeschäft oder von den Ansichten van Dycks über das, was in der Welt so vor sich ging, nicht gewusst hätte.
    Einmal hörte ich aber etwas, was ich nicht hätte hören dürfen.
    Es war nicht meine Schuld. Hinter dem Haus gab es einen hübschen kleinen Garten. Das Zimmer, in dem der Baas arbeitete, schaute darauf. Wie alle niederländischen Gärten war auch dieser sehr ordentlich mit einem Birnbaum und einem Tulpenbeet. Außerdem wurden Kohl, Zwiebeln, Möhren und Endivie angebaut, daneben erstreckte sich ein kleines Maisfeld. An einer geschützten Mauer wuchsen Pfirsiche. Als Junge hatte ich nie gern in diesem Garten gearbeitet, aber mittlerweile machte es mir Freude, die Pflanzen zu versorgen.
    An einem warmen Frühlingstag arbeitete ich dort still vor mich hin, nicht weit vom Fenster des Arbeitszimmers, das jetzt offen stand. Mir war nicht einmal bewusst, dass der Baas sich in seinem Zimmer aufhielt, als ich die Stimme seines Sohnes Jan hörte.
    »Ich habe erfahren, dass Mijnheer Philipse ein englisches Testament gemacht hat«, sagte er.
    »Ach.« Das war die Stimme des Baas.
    »Das ist das einzig Richtige für einen Gentleman«, sagte Jan. »Du solltest es dir überlegen.«
    Wenn es ans Sterben ging, bestand ein großer Unterschied zwischen den Engländern und den Niederländern. Starb ein Niederländer, so blieb seine Witwe Eigentümerin seines Hauses und seines Geschäfts, bis sie ihrerseits verschied; dann wurde alles unter die Kinder aufgeteilt, gleich ob Mädchen oder Jungen. Den Engländerinnen wurde dagegen kein solcher Respekt erwiesen. Wenn eine Engländerin heiratete, ging ihr ganzes Geld in den Besitz des Ehemanns über, als sei sie eine Sklavin, und sie durfte keinerlei Geschäfte tätigen. Starb ihr Mann, so erhielt der älteste Sohn fast alles, abzüglich eines Anteils für den Unterhalt der Witwe. Und die Engländer waren sogar dabei, ein Gesetz zu verabschieden, nach dem es dem Sohn erlaubt sein sollte, die Mutter nach vierzig Tagen auf die Straße zu setzen.
    Die englischen Großgrundbesitzer schätzten diese Regelung, denn wenn der ganze Grundbesitz in einer Hand blieb, wahrte die Familie ihre Macht. Und nachdem sie Gentlemen geworden waren, wollten einige Niederländer aus demselben Grund ebenfalls ein englisches Testament aufsetzen; doch die meisten Niederländer kümmerten sich nicht um dieses englische Gesetz. Ihre Frauen hätten da vermutlich ohnehin nicht mitgespielt. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass der Baas sich danach richten würde.
    »Wir haben ein niederländisches Testament«, sagte der Baas, »das aus der Zeit unserer Heirat datiert. Es liegt beim alten Schermerhorn, dem Advokat deiner Mutter. Sie bekäme einen Tobsuchtsanfall, wenn ich es ändern würde.«
    »Sie bräuchte es ja nicht zu erfahren. Ein englisches Testament würde es aufheben.«
    »Warum interessiert dich das?«
    »Um ehrlich zu sein, Vater, vertraue ich ihrem Urteilsvermögen nicht. Allein, wie sie sich wegen dieser Geschichte mit Leisler aufgeführt hat. Ich glaube nicht, dass sie die richtige Person ist, um unser Geld zu verwalten. Clara ist gut versorgt. Sie hat eine großzügige Mitgift bekommen und Geld von ihrem ersten Mann geerbt, und Gott weiß, dass Henry Master nicht gerade knapp bei Kasse ist. Nach dem englischen Testament seines Vaters wird er fast das gesamte mastersche Vermögen bekommen, da kannst du sicher sein. Sie ist weit reicher als ich.«
    »Ich verstehe, was du meinst«, sagte der Baas.
    »Du weißt, dass ich immer für Mutter sorgen werde. Und das Gleiche würde Clara tun.«
    »Keine Frage.«
    »Ich meine nur, du solltest mich schützen. Und die Familie van Dyck. Das ist alles.«
    »Ich werde darüber nachdenken, Jan, das verspreche ich dir. Aber diese Sache sollte besser unter uns bleiben.«
    »Unbedingt«, sagte Jan.
    Leise ging ich ans andere Ende des Gartens, und als ich wieder ins Haus kam, sagte ich zu keinem ein Wort über das, was ich gehört hatte, auch später nicht, nicht einmal zu Hudson.
    *
    Vom Jahr 1696 sind mir zwei Ereignisse im Gedächtnis geblieben. Der alte Wall, der die Stadt im Norden abschloss, fiel allmählich auseinander, und ein paar Jahre zuvor hatte man auf seiner Krone eine Straße gebaut, die Wall Street genannt wurde. Und in diesem Jahr legten die Anglikaner an der Stelle, wo die neue Wall Street auf den Broadway stieß, das Fundament zu einer schönen neuen Kirche.

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