Im Rausch der Freiheit
schlanke, elegante Dame. Sie und ich hatten nicht oft Anlass, miteinander zu sprechen, aber sie war immer höflich mir gegenüber. Ich wusste, dass Lady Katherine Seiner Lordschaft einige Sorgen bereitete. Immer wieder sah ich ihn, wie er vor einem Tisch stand, der mit ihren offenen Rechnungen bedeckt war, und vor sich hin murmelte: »Wer soll die nur bezahlen?« Denn Seine Lordschaft war nicht so reich, wie viele Leute glaubten. Aber wenn er und Ihre Ladyschaft allein waren, hörte ich sie immer miteinander lachen.
Eines Tages – etwa ein Jahr nach meinem Dienstantritt in diesem Haus – teilte mir Seine Lordschaft mir, er und seine Gemahlin würden allein mit zwei Freunden speisen, die gerade aus London eingetroffen seien. Nachdem ich ihn sorgfältig rasiert und seine Kleider bereitgelegt hatte, sagte er: »Ich brauche dich jetzt nicht mehr, Quash. Ich will, dass du nach unten gehst, um den Gästen die Tür zu öffnen, und dann bei Tisch bedienst.« Also öffnete ich wie verlangt dem englischen Gentleman und seiner Gemahlin die Tür und führte sie in das Empfangszimmer, wo Lady Katherine Cornbury wartete, während Seine Lordschaft noch nicht unten war. Nach einer Weile teilte mir die Lady mit, es würde noch ein Überraschungsgast kommen, eine Person von hohem Stand, und ich sollte ihr die Tür öffnen und sie melden. Und als sie mir sagte, wen ich melden sollte, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen. Aber ich tat, wie sie befohlen hatte, und öffnete die Tür, und tatsächlich war es die Person von hohem Stand, also drehte ich mich um und meldete mit lauter Stimme: »Ihre Majestät, die Königin.«
Und vor meinen Augen schritt Königin Anne herein. Nur dass es Seine Lordschaft war, wie ich merkte, als »sie« an mir vorbeiging.
Er trug ein Kleid, das seiner Frau gehörte. Es saß ihm ziemlich stramm, aber ich muss sagen, er bewegte sich anmutig. Auch hatte er sich eine Frauenperücke aufgesetzt. Das Gesicht war so gepudert, bemalt und geschminkt, dass er wirklich als eine attraktive Frau hätte durchgehen können.
»Bei Gott, Corny!«, rief der englische Gentleman aus. »Du hast mich richtig erschreckt! Deine Körpergröße verrät dich, aber du bist ihr ohne Frage sehr ähnlich. Verblüffend!«
»Nun, Königin Anne ist schließlich meine Cousine«, sagte Seine Lordschaft sehr selbstzufrieden.
»Zeigen Sie uns Ihr Bein«, forderte nun die englische Besucherin. Also streifte Seine Lordschaft den Rock hoch, und in dem Seidenstrumpf sah sein Bein sehr zierlich aus. Und dann ließ er es auf eine Weise kreisen, dass ich fast errötet wäre. »Was denn, Corny«, lachte die Dame, »Sie könnten ja ohne Weiteres eine Frau sein!«
»Manchmal«, sagte Ihre Ladyschaft leise, »ist er eine.«
Jetzt wandelte Seine Lordschaft im Zimmer umher, knickste vor seinen Gästen und sammelte den Beifall ein.
Ich trug das Essen auf, und alle waren sehr vergnügt. Seine Lordschaft nahm seine Perücke ab mit der Begründung, sie sei »verflixt warm«, und erzählte Anekdoten über die Leute am englischen Hof, mit denen er und seine Gemahlin bekannt waren. Und ich war froh, sie so gut gelaunt zu sehen, denn ich konnte mir vorstellen, dass der Gouverneur und seine Frau trotz der hohen Stellung, die sie in New York innehatten, bestimmt das Theater und den Hof und ihre Freunde in London vermissten.
*
Offenbar hatte dieser Abend Seiner Lordschaft großes Vergnügen bereitet. Denn einen Monat später richtete er eine weitere Gesellschaft dieser Art aus. Ich half ihm, sich vorzubereiten, und er kämpfte beträchtlich mit dem Kleid seiner Frau, das ihm zu eng war. »In der Sache müssen wir etwas unternehmen«, sagte er zu mir.
Diesmal hatte er zwei Herren aus bedeutenden niederländischen Familien, die sich zur englischen Partei rechneten, eingeladen: einen van Cortlandt und einen Philipse. Sie waren äußerst verblüfft, als die Königin eintrat, und da keiner von beiden die hohe Dame je gesehen hatte, verstrichen ein, zwei Minuten, bevor sie den Scherz begriffen. Ich glaube nicht, dass sie die Darbietung Seiner Lordschaft genossen, auch wenn sie als höfliche Männer, die sie waren, es nicht aussprachen.
Wie das vorige Mal auch, fand dies im Gouverneurshaus im Fort statt; und nachdem die Gäste gegangen waren, verspürte Seine Lordschaft den Wunsch, etwas frische Luft zu schnappen, und er befahl mir, ihn auf die Bastion hinaufzubegleiten, die der Bucht zugewandt war.
Es war eine schöne Nacht, die Sterne funkelten am Himmel über
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