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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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dem Wasser. Auf der Bastion stand ein Wachposten, der uns einen Blick zuwarf wohl in der Annahme, dass es Ihre Ladyschaft sein müsse; und als er dann merkte, dass sie es nicht war, schaute er genauer hin, konnte aber wegen der Dunkelheit nicht erkennen, wer diese hochgewachsene Dame war.
    »Das müsste die Stelle sein«, bemerkte Seine Lordschaft zu mir, »an der Stuyvesant stand, als die Engländer kamen, um die Stadt einzunehmen.«
    »Ich glaube, ja, Mylord«, sagte ich.
    Er blieb dort eine Weile stehen, und dann ging er wieder zurück. Als wir am Wachposten vorbeikamen, sagte der Gouverneur: »Gute Nacht.« Der Soldat zuckte sichtlich zusammen, als er eine Männerstimme vernahm. Fassungslos starrte er uns an. Als wir wieder unten waren, sagte ich zu Seiner Lordschaft, dass der Wachposten erstaunt gewesen sei, eine Dame mit einer Männerstimme sprechen zu hören, und dass ich mich fragte, ob er erraten hatte, wer vor ihm stand. Doch Seine Lordschaft lachte bloß und sagte: »Haben wir ihm einen Schrecken eingejagt?« Und da begriff ich, dass der Gouverneur – als der Aristokrat, der er war – nicht der Meinung war, dass es eine Rolle spielte, was der Wachtposten glaubte. Und ich erkannte, dass dies eine Schwäche war.
    Durch diese Abende wurde mir noch zweierlei klar. Erstens, dass es Seiner Lordschaft Befriedigung verschaffte, andere daran zu erinnern, dass die Königin seine Cousine war und dass er ihr ähnelte. Zweitens, dass es ihm Vergnügen bereitete, sich als Frau zu verkleiden – gleich ob als Königin Anne oder sonst wer.
    *
    Nach diesen Ereignissen stand ich in der Gunst des Gouverneurs. Offenbar hatte er nicht vergessen, dass er durch die Familie van Dyck in meinen Besitz gekommen war. Denn eines Tages bestellte er Jan in die Festung. Als der Sohn des Baas eintrat, wartete ich im Zimmer auf. Zu diesem Zeitpunkt waren eine Anzahl von Regierungsaufträgen zu vergeben, und Seine Lordschaft hob ein Blatt vom Tisch auf und reichte es Jan.
    »Sie haben mir durch den Verkauf von Quash einen guten Dienst erwiesen«, sagte er. »Vielleicht könnten Sie der Regierung Ihrer Majestät diese Waren liefern.«
    Als Jan den Liefervertrag durchlas, wurden seine Augen immer größer.
    »Eure Lordschaft sind sehr gütig«, erwiderte er. »Ich stehe in Ihrer Schuld.«
    »Dann«, sagte seine Lordschaft, »möchten Sie vielleicht auch etwas für mich tun.« Und er wartete.
    »Es wäre mir eine große Freude«, sagte Jan herzlich, »Eurer Lordschaft fünfzig Pfund zu überreichen, wenn Eure Lordschaft mir die Ehre erweisen würde, sie anzunehmen.«
    Also erwies ihm Seine Lordschaft huldvoll diese Ehre. Und das alles war für mich sehr interessant, da es mir zeigte, wie das Geschäft des Regierens funktionierte.
    *
    Ich fuhr fort, Seine Lordschaft aufmerksam zu beobachten, um herauszufinden, wie ich ihm gefällig sein könnte; und schon kurze Zeit später bot sich mir eine hervorragende Gelegenheit, als ich im Schaufenster eines der Schneider auf der Dock Street einen großen seidenen Unterrock sah, der, wie mir schien, Seiner Lordschaft sehr gut gepasst hätte. Da ich von jeher jede Münze gespart hatte, die ich verdiente, besaß ich ausreichend Geld, ihn zu kaufen; und noch an demselben Abend überreichte ich ihn, als wir allein waren, Seiner Lordschaft. »Für das nächste Mal, wenn Seine Lordschaft Ihre Majestät darstellen will«, sagte ich.
    Er war sehr entzückt und probierte ihn gleich an. »Alles, was ich jetzt brauche«, sagte er, »ist ein ebenso großes Kleid.«
    Mir war aufgefallen, dass jedes Mal, wenn er sich als Königin verkleidete, die Kinder nicht im Haus waren. Deswegen vermutete ich, dass Seine Lordschaft sich doch gewisse Sorgen machte, was die Leute von seiner Neigung halten mochten. Aus diesem Grund achtete ich sehr darauf, in mein Verhalten ihm gegenüber nie das geringste Anzeichen von Spott einfließen zu lassen. Eine Woche, nachdem ich ihm den Unterrock geschenkt hatte, trug er ihn zu einem Souper, das er nur mit Ihrer Ladyschaft einnahm, unter dem Kleid, und während ich ihm beim Anziehen half, fragte er mich: »Findest du es seltsam, dass ich mich so kleide?«
    »In Afrika, Mylord«, sagte ich, »wo mein Volk herkommt, da ist es bei manchen Stämmen üblich, dass sich die Häuptlinge zu bestimmten Gelegenheiten wie Frauen anziehen. Aber nur sie dürfen das. Das gilt bei uns als Zeichen besonders hohen Standes.« Diesen angeblichen Brauch hatte ich mir gerade erst ausgedacht, aber Seine

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