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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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beobachtet.«

Poitiers, Weihnachten 1195
     
    Die vor den Fenstern liegende Landschaft schien in einem Zauber aus Weiß zu versinken. Trudelnd und tanzend stoben die immer heftiger fallenden Schneeflocken mal in diese, mal in jene Richtung, während die Helligkeit der Dunkelheit des frühen Abends wich. Zwar konnte die Wärme im Inneren der Grafenburg über die schneidende Kälte im Freien hinwegtäuschen. Doch selbst Dutzenden von Fackeln und Feuern wollte es nicht gelingen, die bedrohliche Atmosphäre so weit aufzulockern, dass die Bewohner des mächtigen Bauwerkes vergessen konnten, was sie vor den verriegelten Toren erwartete. »Wer Wind sät, wird Sturm ernten, mein Sohn«, stellte Aliénor von Aquitanien nüchtern fest, nachdem Richard Löwenherz mit über der Brust gekreuzten Armen vor eines der Fenster getreten war. »Wenn du deine Meinung wirklich nicht ändern willst, dann wirst du dich in Zukunft noch mehr vor John hüten müssen als zuvor.« Mit einem verächtlichen Schnauben wandte Richard sich zu ihr um und zog den breiten Hirschledergürtel enger um sein blendend weißes Übergewand, auf dem in feurigem Rot sein Wappentier prangte. »Nichts könnte mir gleichgültiger sein«, brummte er verdrossen und richtete den Blick auf seine Mutter, die ein letztes Mal versucht hatte, ihn umzustimmen. Nicht einmal sie konnte seine Entscheidung ins Wanken bringen! Ein kaltes Lächeln stahl sich auf seine energischen Züge, als er an die heuchlerische Begrüßung zurückdachte, die John Lackland ihm bereitet hatte. Zwar schien sich sein Bruder äußerlich in sein Schicksal zu fügen und ihm treu ergeben zu sein. Doch mehrten sich bereits die Gerüchte, dass er hinter Richards Rücken erneut an einer Intrige spann, mit der er den Einfluss und Ruf des Königs schmälern wollte.
    »Es gibt nun einmal nichts an Arthurs Status zu rütteln«, setzte er nach kurzem Schweigen hinzu und studierte gespielt konzentriert die Miniatur seines Neffen, die auf einem kleinen Eibenholztischchen stand. »Ich weiß gar nicht, worüber wir diskutieren.« Als er der steilen Falte gewahr wurde, die sich zwischen die makellos gezupften Brauen seiner Mutter grub, winkte er ungeduldig ab und bot ihr mit einem Kopfschütteln den Arm. Nachdem sie sich bei ihm untergehakt hatte, runzelte auch er die Stirn und knurrte mehr zu sich selbst als an Aliénor gewandt: »Wo ist dieser verdammte Bengel schon wieder?« Was zu seinem Erstaunen der alten Dame ein leises Lachen entlockte. »Oh«, hub sie verschmitzt an. »Vermutlich hat er deine Base Jeanne endlich ausfindig gemacht.« »Von der sollte er besser die Finger lassen«, grollte Richard mit einem Blick, der jedem anderen das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. »Mit dieser jungen Dame habe ich ebenfalls andere Pläne.« Wenngleich ihr diese Worte ernsthafte Sorge bereiteten, kannte Aliénor von Aquitanien ihren Sohn zu gut, als dass sie weiter nachgefragt hätte. Und so wechselte sie schleunigst das Thema, während sie Seite an Seite den hell erleuchteten Korridor auf die Treppe zuschritten. »Warum hast du Alys und Wilhelm eingeladen?, fragte sie, als sie den ersten Absatz erreicht hatten. »Das war nicht besonders taktvoll.« »Taktvoll!«, brummte Richard mit einem leichten Zucken der Mundwinkel. »Eigentlich sollte ich dem Flegel das Fell gerben!« Als die Königinmutter nichts darauf erwiderte, setzte er mürrisch hinzu. »Ich weiß, dass der Bursche Informationen an Philipp von Frankreich weitergibt.« Das erschrockene Einatmen seiner Mutter ignorierend, fuhr er fort: »Und ich will sichergehen, dass das, was heute Abend verkündet wird, bei dem kleinen Giftzwerg ankommt.« Da sie inzwischen die doppelte Flügeltür zur Halle erreicht hatten, schwieg Aliénor von Aquitanien und folgte ihrem Sohn in den bereits bis zum Bersten gefüllten Saal.
    Nichts erinnerte mehr an das unbeschwerte Treiben der Damen vom Nachmittag. Unter dem prachtvoll geschnitzten Dachstuhl sammelte sich die Hitze des Kaminfeuers, und die dort angebrachten Banner des Königs und seiner Vasallen bewegten sich leise im Zug der aufsteigenden warmen Luft. Eine riesige Tafel war errichtet worden, an deren linkem Flügel die Hofdamen Platz genommen hatten – gegenüber der in Prunkgewänder gehüllten Ritter, Earls und Edelknaben. Am Kopfende des langen Raumes verband ein Quertisch die beiden Seiten, über dessen polierter Eichenholzplatte ein mit Perlen besticktes Tuch gebreitet war, auf dem goldene Kelche und

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