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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Schüsseln prangten. In regelmäßigen Abständen reckten silberne Aquamanilen in Tiergestalt ihre bizarren Häupter in die Höhe, mit deren parfümiertem Inhalt sich die Speisenden nach dem Essen die Hände reinigen konnten. Kaum hatte der König den Raum betreten, erhoben sich die Anwesenden und sanken vor ihm und seiner Mutter auf die Knie. Nachdem er Roland, der ebenfalls mit gesenktem Kopf auf dem Holzboden kniete, einen wütenden Blick zugeworfen hatte, ließ Richard sich auf den thronartigen Stuhl in der Mitte des Quertisches sinken und befahl dem Jungen – kaum hatten die Gäste wieder Platz genommen – ihm den Trinkpokal zu füllen. Während der schwere Rotwein aus Burgund ölig in das Gefäß lief, ließ Richard die grauen Augen über die Versammelten gleiten, die ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend aufgeteilt worden waren. Neben ihm auf der Tribüne thronten sein Bruder, John Lackland, dessen rundes, weiches Gesicht wirkte wie eine Wachsmaske; seine Mutter, Aliénor von Aquitanien, der man die Spannung ansah, und Otto von Braunschweig. Zudem hatten die Earls of Leicester und Pembroke, Cornwall und Derby, deren Tapferkeit und Unterstützung Löwenherz unzählige kleinere und größere Siege in diesem Krieg zu verdanken hatte, dort Platz genommen.
    Das inzwischen aufgekommene Gemurmel verstummte mit einem Schlag, als sich der König nach einem tiefen Schluck aus seinem Kelch erhob und Ruhe gebietend die Hand hob. »Bevor wir uns den Leibesfreuden hingeben«, begann er, »und unseren Triumph über Philipp von Frankreich feiern, habe ich einige Mitteilungen zu machen.« Gespannt ruhten die Augenpaare der Gäste auf seiner imposanten Gestalt. »Zuerst«, fuhr Richard fort und gab Otto von Braunschweig ein Zeichen, sich zu erheben, »ernenne ich diesen tapferen jungen Mann zum Grafen von Poitou und Herzog von Aquitanien!« Einer Sturmflut gleich schwoll das Raunen im Saal zu einem Brausen an, das in einen offenen Aufruhr gemündet hätte, wenn der König nicht gedonnert hätte: »Ruhe!« Trotz des zornigen Tones gelang es ihm nicht völlig, die Zufriedenheit über die Wirkung seiner Worte zu verbergen. Und nur mühsam beherrschte er das schadenfrohe Lächeln, das sich auf sein Gesicht stehlen wollte. Während Otto leicht errötet war, hatte auch der letzte Rest Farbe Lacklands Wangen geflohen, da mit der Verleihung der beiden Titel, die Richard einst selbst getragen hatte, kein Zweifel mehr über die von ihm geplante Thronfolge bleiben konnte. Mit der Weitergabe des Erbes seiner Mutter an den Welfen hatte Löwenherz seinen Bruder John vor den Augen aller gedemütigt und unmissverständlich klar gemacht, dass seine Bereitschaft zu verzeihen Grenzen hatte. »Die Titel werden ab September des folgenden Jahres auf Euch übergehen, Otto«, ließ er den jungen Mann an seiner Seite wissen. In dessen blauen Augen hielten Stolz und Überraschung Widerstreit. »Des Weiteren«, setzte Richard an die Versammelten gewandt hinzu, »werde ich einen Boten in die Bretagne schicken, um meinen Neffen Arthur von dort an den Hof meiner Mutter kommen zu lassen.« Er ließ die Worte förmlich auf der Zunge zergehen. War der Effekt der ersten Ankündigung auf John Lackland schon dramatisch gewesen, so kam diese Mitteilung einem Faustschlag ins Gesicht gleich. Als habe er Mühe zu atmen, hob und senkte sich der Brustkorb des aschfahlen Prinzen mit zunehmender Heftigkeit, während sich die Finger seiner Rechten krampfartig um die Tischkante klammerten. Die Reaktion seines Bruders ignorierend, warf Richard seinem Knappen Roland einen kurzen Seitenblick zu, bevor er sich dem Tisch zuwandte, an dem die Hofdamen Platz genommen hatten. »Als Letztes gibt es noch eine bevorstehende Vermählung zu verkünden«, bemerkte er wie beiläufig. »Jeanne de Maine, der Graf von Blois hat um Eure Hand angehalten und ich habe sie ihm gewährt!« Ein schepperndes Geräusch in seinem Rücken veranlasste den König dazu, sich betont langsam umzuwenden und zu beobachten, wie Roland mit zitternden Händen nach einem Lappen griff, um den von ihm verschütteten Wein vom Boden aufzuwischen. »Lasst das Fest beginnen«, dröhnte Löwenherz, nachdem er wieder die Menge ins Auge gefasst hatte. Mit einem letzten Blick auf die totenblasse Jeanne ließ er sich zurück in die Felle sinken, um hungrig nach den inzwischen aufgetragenen Köstlichkeiten zu greifen.
     
    ****
     
    Viele Stunden später, als Richard sich bereits in seine Gemächer zurückgezogen

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