Im Reich der Löwin
Mercadier herrührten. »Bist du dir sicher, dass du seinen Zorn auf dich ziehen willst?«, fragte sie mit einem Seufzen. »Ja, das bin ich«, erwiderte Roland entschlossen und strich ihr eine Strähne aus dem Mundwinkel. »Das bin ich.« Eine Zeit lang genossen die beiden Liebenden noch die Stille der abgeschiedenen Kammer, bevor sie sich schweren Herzens wieder ankleideten und in entgegengesetzte Richtungen davonhuschten, um ihrem Tagwerk nachzugehen. Denn wollten sie weiterhin den Befehlen des Königs trotzen, musste Geheimhaltung ihr oberstes Gebot sein.
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Während Jeanne sich zurück in ihre Kammer stahl und Roland seinen bei Sonnenaufgang beginnenden Stalldienst antrat, lauschte vor dem Gemach der Königin eine in die Schatten der Balken geduckte Gestalt gebannt in die Düsternis, die lediglich von einigen halb niedergebrannten Fackeln erhellt wurde. Als die letzten verdächtigen Geräusche verhallt waren, zog sie mit schlangengleicher Eleganz einen Schlüsselbund aus den Falten ihrer dunklen Gewänder, schob einen der merkwürdig geformten Bärte ins Schloss und drückte die Tür auf. Atemlos in die Dunkelheit horchend, orientierte der heimliche Besucher sich einige Herzschläge lang, ehe er zielsicher auf die auf einem Nachttischchen abgestellte Karaffe zutrat, ein winziges Fläschchen entkorkte und eine dunkel glänzende Flüssigkeit in das Wasser träufeln ließ. Keine drei Schritte neben ihm ertönte das sanfte Schnarchen Berengaria von Navarras, die – wie beinahe jeden Abend – ein Schlafmittel genommen hatte, nachdem sich ihr Liebhaber, Ralph de Beaufort, in sein eigenes bescheidenes Gemach im Nordflügel der Festung zurückgezogen hatte. Wie gut es doch war, Spione zu haben!, dachte John Lackland, als er mit einem boshaften Lächeln die Pforte wieder hinter sich schloss und den Gang entlangeilte. Durch die kleinen Fenster warf die anbrechende Dämmerung soeben das erste Licht des Morgens an die gegenüberliegenden Wände.
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Mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht rekelte Catherine of Leicester sich in den weichen Kissen, während sie ihrem Gemahl dabei zusah, wie er sich ankleidete. »Müsst ihr denn wirklich schon wieder aufbrechen?«, fragte sie enttäuscht und spielte gedankenverloren mit einer der dunkelblonden Strähnen. Ihre immer noch mädchenhaft geschwungenen Hüften bewegten sich verlockend, als sie die Beine an den Körper zog, um sich in eine sitzende Position zu schieben. »Es waren noch nicht einmal drei Wochen«, beklagte sie sich, als Harold mit einem halb amüsierten, halb scheltenden Kopfschütteln das mit seiner rot-weißen Wappenblume geschmückte Surkot schnürte und den Schwertgurt über die Schulter schnallte. Um einen ernsten Gesichtsausdruck bemüht, trat er auf seine Gemahlin zu, ließ sich neben ihr auf die Matratze fallen und drückte ihr einen Kuss auf Mund, Nase und Stirn. »Es ist eine Friedensverhandlung«, neckte er sie mit einem Grinsen. »Keine Schlacht.« Als sie schmollend die Unterlippe vorschob, legte er beruhigend seine Hand auf ihren Bauch, der unter der Berührung zuckte. »Das kitzelt«, schalt sie kichernd. Doch als Harold Anstalten machte, sich von ihr zu verabschieden, hielt sie ihn sanft am Handgelenk zurück. »Lass mich dieses Mal nicht wieder drei Monate warten«, bat sie leise. »Das halte ich nicht aus!« Gerührt beugte er sich erneut zu ihr hinab, um sie zu küssen. »Ich auch nicht, Liebste«, beteuerte er und riss sich mit Mühe von dem hinreißenden Anblick los. »Aber du wirst Gesellschaft haben, solange ich fort bin«, verkündete er, als er sich Bein- und Armschienen anlegte. Als Catherine ihn fragend ansah, setzte er schmunzelnd hinzu: »Marian wird in wenigen Tagen hier eintreffen. Sie hat beschlossen, in Zukunft ein Auge auf diesen Schürzenjäger Robin of Loxley zu haben!«
Mit diesen Worten verabschiedete er sich und schritt den Gang entlang auf die breite Treppe zu, die ins Erdgeschoss der Grafenburg führte. Auch ihm fiel es schwer, seine Gemahlin nach den vergangenen Wochen des Friedens und der Erfüllung wieder allein zu lassen. Aber die Aussicht auf ein Zusammentreffen mit dem gedemütigten Philipp von Frankreich ließ sein Herz schneller schlagen. Zwar hatte er die Leidenschaft und die ungehemmte Lust seines Ehegemaches in vollen Zügen genossen. Doch allmählich wurde ihm das Stillsitzen in der Festung langweilig. Wie gut, dass es Robin gelungen zu sein schien, die Schwierigkeiten in seiner Beziehung
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