Im Reich der Löwin
für ihn seltenen, aufrichtigen Freude an. »Eure Treue wird nicht unbelohnt bleiben«, versprach der Franzose dem Vasallen seines Erzfeindes mit einem listigen Lächeln, da ihm sehr wohl bewusst war, dass dieser seinem Lehnsherrn, Richard von England, gegenüber soeben Hochverrat begangen hatte. Noch immer wollte er sich am liebsten selbst dafür auf die Schulter klopfen, dass er diesen Untertan Richards mit dem Gespür eines Bluthundes ausfindig gemacht hatte. Dieser regierte nicht nur eine im Nordosten der Normandie strategisch günstig gelegene Grafschaft. Seine Abneigung gegen den Engländer ging so weit, dass er sich ohne weitere Fragen zu stellen mit Philipps Schwester Alys hatte vermählen lassen. Wenn Philipps Rechnung aufging, würde das altersmäßig so unterschiedliche Paar kinderlos bleiben. Womit ihm nach dem Tod des jungen Grafen – der sicherlich zu gegebener Zeit beschleunigt werden konnte – dieser Teil der Normandie zufallen würde. Mit einem Leuchten in den Augen wies er seinen Schatzmeister an, dem schlanken Sechzehnjährigen einen Beutel Goldmünzen zu überreichen, woraufhin sich Wilhelm von Ponthieu diskret zurückzog.
Während er sich über den kurzen Spitzbart strich, der nur unzureichend das fliehende Kinn kaschierte, murmelte der Franzose schadenfroh: »Wer eine solche Laus im Pelz hat, sollte sich zuerst hinter den eigenen Ohren kratzen.« Leise lachend malte er sich aus, wie sein ehemaliger Verbündeter, John Lackland, auf die offene Misstrauensbekundung seines Bruders reagieren würde. Und mit einem Mal schmeckte die Pille, die er mit den erzwungenen Waffenstillstandsverhandlungen hatte schlucken müssen, nicht mehr ganz so bitter wie zuvor. In wenigen Tagen würde er auf seinen Angstgegner treffen, um die vor Issoudun vereinbarten Bedingungen in einem Vertrag festzuschreiben. Wenngleich er ursprünglich geplant hatte, sich durch einen seiner Generäle vertreten zu lassen, spielte er in diesem Augenblick mit dem Gedanken, dem Löwen höchstpersönlich entgegenzutreten. Er wollte dem Mann in die Augen blicken, der so unklug war, sich in seinem eigenen Lager tödliche Feinde zu machen! Wenn es ihm gelang, die Situation zu seinen Gunsten auszunutzen, würde er das neuerliche Zerwürfnis zwischen Lackland und Löwenherz zu seinem Vorteil nutzen können – er musste lediglich noch herausfinden, wie. Früher oder später würde der impulsive Engländer über die eigene Taktlosigkeit stolpern, dessen war er sich nach dem Bericht des Grafen von Ponthieu sicher!
Poitiers, Anfang Januar 1196
Das heisere Krächzen der Krähen, die wie eine Reihe ungeduldiger Totengräber die Augen auf die Zinnen der Grafenburg in Poitiers gerichtet hatten, durchschnitt die klirrende Januarluft mit der Schärfe einer ungestimmten Lautensaite. Nervös mit den Flügeln schlagend hüpften sie auf den Ästen der schneebedeckten Bäume auf und ab. Einige pickten mit ihren hässlichen Schnäbeln nach ihren Nachbarn, um gleich darauf den Kopf zurück zu dem hell erleuchteten Gemach im Obergeschoss der Burg zu wenden, hinter dessen dicken Fensterscheiben goldener Fackelschein auf und ab tanzte. Aus einem quecksilbergrauen Himmel rieselten staubfeine Flocken auf den vereisten Boden. Dort vereinten sie sich mit der Schneedecke, die den gesamten Süden Frankreichs wie ein kalter Überwurf überzog. Selbst in den Ritzen zwischen den Steinquadern hatten Eis und Reif inzwischen Fuß gefasst, sodass die trutzige Festung beinahe märchenhaft wirkte. Immer wieder brachen handbreite Schneebretter von den überhängenden Dächern der Türme und Wohngebäude ab und stürzten zu Boden, wo die Eiszapfen in tausend funkelnde Stücke zerbrachen. Wie an den meisten der nicht mit Brettern verschlossenen Fenster, zeichneten auch im Obergeschoss Eisblumen ein Spinnennetz aus gefrorenem Wasser auf das Glas, was dazu führte, dass die Gestalten im Inneren verzerrt und undeutlich erschienen.
Heftig schwitzend warf sich die vollkommen entkräftete Berengaria von Navarra in den Kissen hin und her. Als ein weiterer Krampf durch ihren Körper lief, bäumte sie sich auf und erbrach sich in den Eimer, den eine bleiche Magd ihr unter das tropfende Kinn hielt. In ihrem rot gefleckten Gesicht wirkten die geweiteten Pupillen riesig und die bebenden Lippen blutleer. Trotz des Fiebers, das in ihrem Körper brannte, zog sie – sobald sie sich ermattet in die Kissen hatte zurückfallen lassen – die warme Decke bis zum Hals. Während ihre Zähne
Weitere Kostenlose Bücher