Im Reich der Löwin
Übel zu wählen.« Er räusperte sich. »Vor allem jetzt, da wir eine Handhabe gegen Richards übersteigerte Forderungen besitzen.« Das listige Funkeln, das im Angesicht des Blutbades vor den Toren seines Palastes erloschen war, kehrte in die grauen Augen zurück. »Es ist wohl an der Zeit, ein Bauernopfer zu bringen«, stellte er sachlich fest und griff nach dem schweren Mantel, den er über die Lehne eines Stuhls drapiert hatte. »Wenn die Rädelsführer gefasst sind, wird dieser Wahnsinn in sich zusammenfallen, als ob es ihn niemals gegeben hätte.« Ein Lächeln huschte über seine faltigen Züge. »Immerhin ist es eine himmelschreiende Verschwendung, all das Gold und Silber diesen Burschen in die Hände fallen zu lassen!« Auch Hugh of Lincoln konnte sich ein Feixen nicht verkneifen. »Da habt Ihr recht«, pflichtete er dem Amtskollegen bei. »Besser es gelangt in die Staatskasse als in die Taschen von Rebellen.« Denn der Staat ist einfacher zu erpressen, setzte er in Gedanken hinzu, bevor er Herbert Poore in den langen Korridor hinausfolgte.
Poitiers, Ende Januar 1196
»Und wenn du dich noch so sehr aufregst«, stellte die von dem Wutanfall ihres Sohnes unbeeindruckte Aliénor von Aquitanien sachlich fest, »ändert das immer noch nichts an der Tatsache, dass sie ihre Unschuld verloren hat.« Während Richard wie ein gefangener Tiger in dem überheizten Gemach seiner Mutter auf und ab stampfte, ließ sich die alte Dame mit einem leisen Seufzer in ihren Lieblingsstuhl fallen und bedachte den König mit einem ungerührten Hochziehen der Brauen. »So etwas sieht eine Frau auf Anhieb.« Gerade erst aus Louviers zurückgekehrt, stak der englische König noch in voller Rüstung. Und mit jedem Schritt, den er übertrieben heftig auf den frisch gewachsten Holzboden setzte, klapperten die Scharniere seiner Beinschienen. Lediglich den Helm hatte er abgenommen, und auf der hohen Stirn pulsierte eine beinahe fingerdicke Zornesader, die sich von Minute zu Minute zu vergrößern schien. »Ich werde den Bengel Mores lehren!«, tobte er wutschäumend, während seine Rechte den Griff des mächtigen Langschwertes an seiner Seite umklammerte. »Sich dem Befehl seines Königs zu widersetzen, ist Verrat!« »Du wirst den Jungen in Ruhe lassen«, stellte Aliénor ruhig fest und wies auf einen Schemel an ihrer Seite, auf dem sich ihr Sohn nach einigen trotzigen Augenblicken des Zögerns widerwillig niederließ. »Für solch ein Vergehen gibt es kein Pardon«, knurrte er und ballte die Pranke zur Faust. Mit einem energischen Händeklatschen gab Aliénor dem schüchtern in den Hintergrund zurückgewichenen Pagen ein Zeichen, woraufhin der Knabe mit sichtlichem Unbehagen die beiden silbernen Kelche füllte, die neben der Königinmutter auf dem breiten Sims des Kamins standen. »Lass uns allein«, befahl sie, und der Junge verneigte sich und schlüpfte durch eine Seitentür aus dem Gemach.
Während sie das Gefäß an die Lippen hob und genüsslich einen Schluck des heißen Weines trank, betrachtete sie Richard mit gerunzelter Stirn. »Du hast keinerlei Beweis für ihren Ehebruch«, sagte sie, verbesserte sich jedoch sofort. »Es ist ja nicht einmal Ehebruch. Immerhin hat sie noch nicht Verlobung mit Ludwig gefeiert.« Richard schnaubte verächtlich, griff ebenfalls nach dem warmen Gefäß und nippte an dem Gewürzwein, bevor er ihn mit einem angewiderten Gesichtsausdruck auf das Sims zurückstellte. »Unter der Folter hat schon manch einer gestanden«, grollte er. Doch der dunkle Rotton seiner Gesichtsfarbe wich allmählich einer gesünderen Schattierung. Nur mühsam verkniff Aliénor von Aquitanien sich ein Lächeln, da sie ihren Sohn nach beinahe vierzig Jahren gut genug kannte, um zu wissen, dass sein Zorn schon beinahe verraucht war. »Ich habe dir einen Vorschlag zu machen«, fuhr die Königinmutter unbeirrt fort, »einen Vorschlag, der das Problem mit Ludwig aus der Welt schafft und dafür sorgt, dass die beiden eine Lehre aus ihrem Verhalten ziehen.« Trotz allen Unwillens zuckten Richards rotblonde Brauen neugierig in die Höhe. Doch er erhob keinen Einwand. »Da Berengaria offensichtlich vergiftet worden ist«, begann sie, und bei dem Gedanken an denjenigen, der vermutlich für diese feige Tat verantwortlich zeichnete, verdüsterte sich ihre Miene, »hat sie beschlossen, sich in das angrenzende Nonnenkloster zurückzuziehen.« Zwar war ihr Liebhaber nicht allzu erquickt gewesen von dieser Vorstellung, doch schien ihm
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