Im Reich der Löwin
Clairvaux. Dieser würde den Jungen noch am gleichen Abend mit in die in der Champagne gelegene Zisterzienserabtei nehmen, wo der Prinz als Novize verkleidet den Schutz der Kirche genießen würde. Zwar dachten sowohl die bretonischen Hüter des Knaben als auch dieser selbst, dass Philipp ihn an seinem Hof in Paris aufnehmen würde. Doch wenngleich dem Franzosen diese Gelegenheit, einen Keil ins Haus Plantagenet zu treiben, mehr als gelegen kam, war ihm das Risiko, den englischen Thronfolger in seiner unmittelbaren Umgebung zu beherbergen, dennoch zu hoch. Auf keinen Fall durfte dem Jungen etwas geschehen! Zufrieden beobachtete er, wie der lächerlich junge Abt den Knaben bei der Hand nahm und ihn aus dem Audienzsaal führte, in dem außer dem König und seinen Beratern nur noch die sieben Ritter anwesend waren, welche den Neffen von Richard Löwenherz bis nach Paris eskortiert hatten. Was für ein wunderbarer Wink des Schicksals! Nicht nur versprachen Philipps diplomatische Bemühungen um Balduin IX. von Flandern in absehbarer Zeit Früchte zu tragen, da dieser über die englischen Seeblockaden mehr als erzürnt war und einem Treffen im folgenden Monat zugestimmt hatte. Mit dem englischen Thronfolger hatte er eine Trumpfkarte gegen seinen Widersacher in der Hand, die diesen eindeutig in die schwächere Position zwang. Mit einem zufriedenen Lächeln wandte er sich zu den verbliebenen Männern um und signalisierte das Ende der Audienz.
Rouen, März 1196
»Nachdem Richard Löwenherz die Mutter seines Neffen hatte entführen lassen, drang er in das Herzogtum Bretagne ein, um auch des Knaben habhaft zu werden, den er unter seine Kontrolle bringen wollte. Selbst das nahende Osterfest konnte den englischen Löwen nicht davon abhalten, Städte zu überrennen, Dörfer niederzubrennen und mit allergrößter Härte gegen die aufständischen Bretonen vorzugehen.«
Mit einem Nicken gab John Lackland das Schriftstück an Richard of Devizes zurück, auf dessen Gesicht ein sorgenvoller Ausdruck lag. Vermutlich bereute es der Bursche inzwischen, dass er sich von seiner Eifersucht in die Rolle des falschen Chronisten hatte drängen lassen. Doch für solcherlei Reue war es schon längst zu spät! »Schmückt es noch ein wenig aus«, befahl er knapp, ehe er sich mit einem ärgerlichen Funkeln in den Augen zu seinem Pagen umwandte, der soeben mit einer tiefen Verbeugung den Raum betrat. »Eure Mutter, Mylord«, murmelte der Junge schüchtern. Er wurde von der hinter ihm in den Raum segelnden Aliénor von Aquitanien zur Seite geschoben, bevor sein Dienstherr eine Antwort finden konnte. »Lasst uns allein!«, herrschte die erzürnt wirkende alte Dame ihre Begleiterinnen, Devizes und den Pagen Waleran an. Und sobald die Tür hinter diesen ins Schloss gefallen war, warf sie mit einer ärgerlichen Geste ihren Mantel auf einen Schemel. »Ich habe mit dir zu reden«, zischte sie und stach John wenig sanft einen der gichtgeschwollenen Finger in die Brust. Mit geheuchelter Überraschung zog Lackland die Brauen in die Höhe, während seine Mutter sich auch der wollenen Kopfbedeckung entledigte, welche ihr schneeweißes Gebende vor dem Schmutz der langen Reise geschützt hatte. Sie musste direkt nach Bekanntwerden der Neuigkeit, dass Arthur an den französischen Hof geflohen war, aufgebrochen sein, um ihn aufzusuchen, fuhr es John durch den Kopf, während er weiterhin den Unwissenden spielte. Nachdem er erfahren hatte, dass seine List, Konstanze in Richtung Norden zu locken, aufgegangen war und er dadurch sowohl Mutter als auch Sohn vom Spielbrett der anglo-französischen Politik gefegt hatte, waren ihm die schlechten Nachrichten aus England nicht mehr ganz so bitter aufgestoßen. Ermutigt durch den kühnen Zug des französischen Königs, hatte er sich einen Narren gescholten. Die Tatsache, dass sein Strohmann, Guillaume of Huntingdon, sich als Gefangener auf dem Weg nach Frankreich befand, durfte ihn nicht weiter beunruhigen. Denn genauso schnell, wie Prinz Arthur von der Bildfläche verschwunden war, würde sich auch der junge Huntingdon in Luft auflösen, ehe er ihn mit seiner Aussage belasten konnte! Dafür würde er sorgen. Auch hatte sich die Verbitterung über das Scheitern des Aufstandes in der englischen Hauptstadt inzwischen gelegt, da er dennoch eine Schwächung der Position seines Bruders herbeigeführt hatte.
»Ich weiß, dass du hinter der ganzen Sache steckst«, riss ihn seine Mutter aus den Gedanken. »Entschuldigt?«
Weitere Kostenlose Bücher