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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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eine Geiselhaft oder Ähnliches umzuwandeln. Mit Sicherheit hatte er die Dienste, die Guillaume ihm erwiesen hatte, nicht einfach vergessen. Ein grimmiger Ausdruck huschte über seine weichen Züge. Ansonsten würde er versuchen, sein Leben mit Informationen zu erkaufen, welche die Schuld für den Verrat auf Lackland abwälzten und ihn als Opfer seiner Treue erscheinen ließen!
    Seine beiden Bewacher zügelten unvermittelt ihre Tiere, sodass aus dem gemäßigten Galopp ein langsamer Trab wurde. Als Guillaume neugierig den Kopf hob, um zu sehen, was diese Verzögerung bewirkt hatte, erblickte er keine halbe Meile vor sich einen umgestürzten Baum, der die an dieser Stelle besonders enge Straße blockierte. Mit einem ungehaltenen Fluch gab der Anführer des Reiterverbandes Zeichen zum Absitzen. Und während sich ein halbes Dutzend seiner Männer mit Äxten und Schwertern am Holz der morschen Eiche zu schaffen machte, blickte Guillaume sich unter halb geschlossenen Lidern um. Zwar waren seine beiden Bewacher nach wie vor an seiner Seite, doch hatten sie den Zügel seines Rosses fahren lassen, um ihren Kameraden die an ihren Sätteln befestigten Streitäxte zuzuwerfen. Bevor sich der Junker jedoch dazu entscheiden konnte, einen Fluchtversuch zu unternehmen, sah er zu seinem Entsetzen, wie der Mann zu seiner Linken sich an die Kehle griff, aus der wie aus heiterem Himmel der Pfeil eines Langbogens austrat. Das Blut schoss bereits aus der Wunde, als Guillaume das Surren des Pfeils vernahm. Doch die Warnung, die er ohne nachzudenken ausstieß, kam zu spät. Keine zwei Herzschläge nachdem der erste seiner Begleiter wie ein Sack Mehl aus dem Sattel geglitten war, stürzte auch der Soldat zu seiner Rechten getroffen zu Boden. Und ehe die Männer, die immer noch verbissen auf den Baumstamm einhackten, begriffen, dass es sich um einen Hinterhalt handelte, waren auch sie von den tödlichen Geschossen durchbohrt. Das alles ging so schnell vonstatten, dass Guillaume kaum die Todesgefahr erkannt hatte, in der auch er schwebte. Als ihm klar wurde, dass er als Einziger noch lebend im Sattel seines Ackergauls saß, war es zu spät.
    Sollte John Lackland …? Der Gedanke blieb unbeendet, da in diesem Augenblick die im Dickicht verborgenen Angreifer ihr Versteck verließen und drohend auf den schwer atmenden Gefangenen zukamen. Diejenigen der Visagen, die nicht von den tief in die Stirn gezogenen Kapuzen ihrer Überwürfe verborgen waren, wirkten nicht gerade wie die Gesichter von Männern, die im Dienste des Prinzen standen. Doch entgegen allen Warnungen, die sein Instinkt ihm zuschrie, verharrte Guillaume regungslos an Ort und Stelle und wartete, bis der Anführer der Wegelagerer sich vor ihm aufbaute und mit in die Hüften gestemmten Fäusten zu ihm aufblickte. Langsam, beinahe wie um die Bewegung zu parodieren, zog er einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken, legte diesen an die Sehne seines Bogens und hielt diesen auf den Boden gerichtet, während er Guillaume in die furchtgeweiteten Augen starrte. »Prinz John heißt Euch herzlich in Frankreich willkommen«, stieß er mit einem schadenfrohen Unterton in der Stimme hervor, hob mit einer blitzschnellen Bewegung den Langbogen und spannte die Sehne. Mit einem ekelerregenden Geräusch zerschmetterte das Geschoss Guillaumes Brustbein und durchbohrte sein Herz. Bevor er den Mund zu einem Schrei öffnen konnte, sank er schlaff auf den Hals seines Reittieres.

London, April 1196
     
    Froh, die erstickende Gegenwart des pompösen obersten Justitiars der Insel wieder verlassen zu können, zog sich William Marshal in den Sattel des Hengstes, den er kurz nach seiner Landung in Portsmouth von einem der englischen Züchter erstanden hatte, und trabte an der Spitze des letzten Ritterverbandes über die Zugbrücke des Towers of London . Nachdem Philipp II. mit der Aufnahme des jungen Arthurs seinem Erzfeind Richard Löwenherz praktisch den Fehdehandschuh vor die Füße geschleudert hatte, erachtete der englische König den Friedensvertrag von Louviers für nichtig und rüstete erneut zum Krieg. Gerüchten zufolge war auch Philipp von Frankreich alles andere als untätig. Und so galt es, die Vorteile, die sich boten, auszunutzen, solange dies noch möglich war. Keine Woche nach Bekanntwerden der Tatsache, dass der Neffe des englischen Königs Zuflucht bei Philipp von Frankreich gesucht hatte, war Hubert Walter, das Regierungsoberhaupt Englands, von dem erzürnten Löwenherz angewiesen worden,

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