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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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gebeugte Kopf der Küchenmagd schließlich aussah wie das geschorene Fell eines räudigen Hundes, trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten, und bemerkte scheinbar ungerührt: »Die Strafe für Diebstahl dürfte dir bekannt sein.« Voller Entsetzen beobachtete Jeanne, die das Mädchen als die kleine Magd erkannte, der sie vor beinahe acht Wochen das Schmuckstück zugesteckt hatte, wie eine der Nonnen der Sprecherin ein zweites Messer überreichte, über das diese prüfend den Daumen gleiten ließ. »Nein!«, hauchte sie, ließ den Stickrahmen zu Boden poltern und stieß die schwere Tür zu ihrer Kammer auf, um den Korridor entlangzuhasten. Mit gerafften Röcken flog sie die breiten Stufen ins Erdgeschoss hinab, an einigen kopfschüttelnden Ordensschwestern vorbei in den Hof hinaus, an dessen hinterem Ende die Frau soeben die Klinge an das rechte Ohr des zitternden Mädchens setzte. »Haltet ein!« Mit bis zum Hals hämmerndem Herzen kam sie einige Schritte vor der Versammlung zum Stehen und rang keuchend nach Atem, bevor sie in abgehackten Worten hervorstieß. »Sie ist unschuldig!« Ungeduldig wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und wies auf das Schmuckstück, das eine der Nonnen immer noch mit spitzen Fingern in der Hand hielt. »Das gehört mir.« Mit jedem Atemzug kehrte mehr Festigkeit in ihre Stimme zurück. »Ich habe es ihr gegeben.« Beinahe bedauernd wandte sich die grobschlächtige Frau, in deren Augen Enttäuschung und der Zorn über die Unterbrechung Widerstreit hielten, zu Jeanne um und betrachtete sie einige Momente lang kalt. Dann ließ sie die Hand, die das Messer hielt, sinken und wandte sich fragend an die junge Frau.
    »Wenn das wahr ist, könnt Ihr uns doch sicherlich auch mitteilen, weshalb Ihr das getan haben solltet.« In ihrer tiefen Stimme schwangen Hohn und Sarkasmus mit. Doch Jeanne ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. »Ich hatte sie um einen Gefallen gebeten«, sagte sie mit einem hochmütigen Zurückwerfen des Kopfes. »Und das Kruzifix war die Bezahlung.« Diese Information war so nahe an der Wahrheit wie nur irgend möglich, ohne das Mädchen in Teufels Küche zu bringen, da sie den Auftrag, für den Jeanne sie bereits bezahlt hatte, immer noch ausführen sollte. Nachdem sie Roland nicht hatte ausfindig machen können, hatte sie Jeanne das Geschmeide zurückgeben wollen. Aber diese hatte abgewehrt und ihr das Versprechen abgenommen, Augen und Ohren offen zu halten, wann die Männer nach Poitiers zurückkehrten, um dann einen zweiten Versuch zu unternehmen. Da Jeanne sich aufgrund der ehrlichen Frömmigkeit, die sie in den Zügen der Magd gelesen hatte, sicher sein konnte, dass diese sie nicht hintergehen würde, musste sie alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um das Kind vor den Ordensschwestern zu schützen. »Was war das für ein Gefallen?«, hakte die Frau, die sich in ihrer Rolle als Inquisitorin zu gefallen schien, augenblicklich nach. »Das kann ich Euch nicht sagen.« Der Ton, in dem Jeanne diese Antwort hervorstieß, war zorniger als beabsichtigt, und zu spät erkannte sie ihren Fehler. Mit zwei langen Schritten war die Schwester bei ihr, packte sie am Arm und zischte: »Ihr solltet nicht vergessen, dass Ihr nicht aus freiem Willen hier seid! Hier seid Ihr keine feine Dame mehr!« Sprühend legte sich ihr Speichel über Jeannes Gesicht und sie wischte ihn mit dem Ärmel ihrer Tracht ab, während sie den Blick in die Augen ihres Gegenübers bohrte. Was für eine furchtbare Frau! Vermutlich war ihr Vater der Schweinehirt eines Edelmannes gewesen, was den Hass erklären würde, den Jeanne in ihren Zügen lesen konnte. Mit einem harten Griff umklammerte die Nonne auch ihren anderen Oberarm und fauchte: »Ihr könnt der Äbtissin die Angelegenheit erklären!« Mit diesen Worten gab sie ihren Begleiterinnen ein Zeichen, das Mädchen loszubinden und ihr zu folgen. Dann stieß sie Jeanne grob in die Seite und zerrte sie auf das Hauptgebäude zu, in dessen oberstem Geschoss die Äbtissin einen ganzen Flügel bewohnte. Schweigend – das Rascheln der Gewänder lediglich vom Schluchzen der Küchenmagd unterbrochen – eilten sie die düsteren Gänge entlang, bis sie schließlich vor der Tür des Ordensoberhauptes haltmachten. Nach einem Klopfen folgten sie der kaum verständlichen Aufforderung aus dem Inneren der Kammer.
    Vor einer Reihe Rundbogenfenster saß die etwa vierzigjährige Äbtissin an einem Tischchen, auf dem sich Pergamente und kleine

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