Im Reich der Löwin
sich zum ungezählten Mal, als Arnauld, der ungeschickt versuchte, Konversation zu betreiben, sie mit seinen gelben Zähnen anlächelte, zwischen denen die Überreste seines letzten Mahls prangten. Wie sollte sie vorgeben, nicht von Abscheu geschüttelt zu werden, wenn diese feisten Hände ihren Körper betasteten? Mit einer in dem ruhigen Tanz eigentlich nicht vorgesehenen Drehung befreite sie sich von der groben Pranke ihres Zukünftigen, die mit unverschämter Selbstverständlichkeit zu ihrem Gesäß gewandert war. Wie sollte sie den Würgereiz unterdrücken, der sie schon überkam, wenn sie nur den Blick auf seine farblosen Lippen richtete? Während ihre glänzenden, rotbraunen Locken unter der kleinen Haube, die ihren Kopf bedeckte, auf und ab hüpften, nahm sie all ihre Willenskraft zusammen, schenkte dem glücklich die Melodie mitsummenden Arnauld ebenfalls ein Lächeln und gab vor, seiner unzusammenhängenden, immer wieder stockenden Erzählung gebannt zu lauschen. Nach der dritten Runde gab er schließlich – trotz der Gesetztheit des Tanzes – schwer atmend und schwitzend auf und ließ das Mädchen stehen, um sich von einem der Bediensteten einen neuen Becher Wein geben zu lassen.
»Ich beneide Euch nicht um die Wahl Eures Vaters«, erklang unvermittelt die Stimme einer Freundin ihrer Mutter, die mit einem der wohlhabenden Ritter der Grafschaft vermählt war, dicht neben Jeannes linkem Ohr. Durch die enge Schnürung ihres Bliauds etwas außer Atem wandte sich die junge Frau langsam um und hob gespielt fragend die Brauen. »Es gehen Gerüchte um, dass er seine erste Gemahlin in einem betrunkenen Eifersuchtsanfall aus dem Fenster gestürzt haben soll!« setzte die verwelkte Schönheit erklärend hinzu. Ihre kornblumenblauen Augen waren sensationslüstern aufgerissen, und ihr kleines Mündchen formte ein leicht windschiefes »O«. Jeanne wusste, dass die magere Dame für ihre blühende Fantasie bekannt war, hatte aber dennoch Mühe, einen erschrockenen Ausruf zu unterdrücken. »Vielleicht ist es ja nur Gerede«, beschwichtigte die Ältere das Mädchen, als sie des verunsicherten Ausdrucks in den Augen der Braut gewahr wurde. »Ich wollte Euch keine Furcht einjagen, sondern Euch lediglich warnen.« Ich danke Euch vielmals, dachte Jeanne spöttisch, als der Rücken der unbedarften Edeldame bereits wieder in dem hin und her wogenden Getümmel verschwunden war. Ihr zukünftiger Gemahl war also nicht nur ein Ekel, er schien auch eine Neigung zur Gewalttätigkeit zu haben! Um das Zittern zu unterdrücken, das sich entgegen aller Willensanstrengung ihrer Glieder bemächtigen wollte, winkte sie einen der Pagen zu sich und ließ sich von ihm einen Becher verdünnten Wein reichen. Sie umklammerte das Gefäß so fest, dass alle Farbe aus ihren Knöcheln wich. Während sie das leicht säuerliche Getränk in kleinen Schlucken nippte, versuchte sie, den harten Klumpen in ihrer Magengegend zu ignorieren. Was jedoch nur von mäßigem Erfolg gekrönt war. Als der Kelch geleert war, drehte sie ihn unschlüssig zwischen den Fingern hin und her, bevor sie sich ein Herz nahm, ihn energisch auf einem der Tische abstellte und sich einen Weg zu ihrer Mutter bahnte, die sich in der Nähe der Feuerstelle mit einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen unterhielt, das Jeanne als eine entfernte Base erkannte. Bevor sie den rettenden Hafen jedoch erreicht hatte, sah sie zu ihrem Entsetzen, wie Arnauld, der mit einem halben Dutzend Adeliger lauthals über einen – zweifellos geschmacklosen – Scherz lachte, seine Genossen mit einem Augenzwinkern stehen ließ und mit wehendem Umhang erneut auf sie zusteuerte.
Burg Beaufort, Ende März 1194
Zur gleichen Zeit als Jeanne de Maine sich mit einem unterdrückten Seufzen in ihr Schicksal ergab und ihrem zukünftigen Gemahl erneut gestattete, seine groben Pranken um ihre schlanke Mitte zu legen, genoss in der Abgeschiedenheit des Dorfes Beaufort die von ihrem Gatten getrennt lebende englische Königin die Berührungen ihres Bettgenossen in vollen Zügen. In dem Gemach im ersten Stock der Festung über der Ortschaft vermischte sich der schwere Geruch des tanzenden Buchenfeuers mit dem salzigen Duft der beiden verschlungenen Körper. »Hör nicht auf«, hauchte Berengaria von Navarra ihrem Liebhaber atemlos ins Ohr. Während ihre Hände sich in seinen blonden Schopf gruben, wanderten seine Lippen ihren Bauch hinab und fanden ihr eigentliches Ziel. Als sich ihr Atem beschleunigte und ein
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