Im Reich der Löwin
Heldentaten seines Vaters, der in ganz England als der größte Ritter aller Zeiten gefeiert wurde, auf ihn abfärbten. Seit Richard Löwenherz die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, war der Dienstältere ihm mit Herablassung und Verachtung begegnet. Die Tatsache, dass Roland der Halbbruder des Königs war, versuchte Humphrey dadurch wettzumachen, dass er die Wünsche des jähzornigen Königs stets im Voraus erahnte. Außer durch seine beinahe erniedrigende Diensteifrigkeit zeichnete sich der vierzehnjährige Blondschopf zudem durch eine sorgsam vor seinem Dienstherrn verborgene Hinterhältigkeit aus, die Roland mit Abscheu erfüllte.
»Eine ganze Menge, wenn er sich in meinem Zelt in die Hosen scheißt!«, brauste Humphrey auf und streckte kampfeslustig das Kinn vor. Seine helle, von Sommersprossen überzogene Haut war gerötet, und in den grünen Augen, die er von seiner Mutter – einer Jugendliebe des Earls – geerbt hatte, funkelten Zorn und Hass. »Es ist nicht dein Zelt!«, wies Roland ihn zurecht und reichte Henry die Hand, um diesen auf die Beine zu ziehen. »Ich schlafe auch hier!« Humphrey schnaubte. Selbst ein Bastard verachtete er Roland und Henry für ihre Herkunft, auch wenn diese die Blutlinien zweier Königshäuser in sich vereinigten. »Ich kann sein Geheule jedenfalls nicht mehr hören«, knurrte er und warf Henry einen finsteren Blick zu. »Wenn ihm die Arbeit als Knappe zu hart ist, dann muss er eben ins Kloster gehen«, höhnte er. Bevor Roland seinen Bruder davon abhalten konnte, hatte sich dieser auf den anderen Jungen gestürzt, um ihn mit den geballten Fäusten zu bearbeiten. Da der Knabe im Gegensatz zu Humphrey jedoch schlank und geschmeidig gebaut war, dauerte es keine zwei Minuten, bis der Kräftigere ihn überwältigt und auf den Rücken geworfen hatte. Nun begann er, wie wild auf den Unterlegenen einzudreschen. »Lass ihn los, verdammt noch mal!«, brüllte Roland, stürzte sich auf die beiden Streithammel und versuchte, sie voneinander zu trennen. Bevor seine Bemühungen jedoch von Erfolg gekrönt werden konnten, spürte er eine eisenharte Klaue im Nacken, die ihn mit so viel Wucht nach hinten riss, dass er gegen einen der Holzpflöcke krachte, welche das geräumige Zelt aufrecht hielten. Den immer noch wild auf Henry einprügelnden Humphrey ereilte das gleiche Geschick. Aber als dieser sich aufzurappeln versuchte, schickte ihn ein wuchtiger Schlag ins Gesicht wieder auf den gestampften Erdboden zurück.
»Was zum Teufel geht hier vor?«, dröhnte die tiefe Stimme des Königs über die eingezogenen Köpfe der Kampfhähne. Während einer seiner Männer den heftig aus der Nase blutenden Henry wenig sanft in die Senkrechte beförderte, zerrte ein zornesroter William Marshal seinen Sprössling auf die Beine, und Richard packte Roland am Kragen, um ihm eine schallende Ohrfeige zu versetzen. Obwohl ihm der Kopf dröhnte und seine Sicht einen Augenblick lang verschwamm, erkannte der Knabe im Hintergrund William of Scotland, den schottischen König. Dieser war seit dem Konzil von Nottingham, das dem Fall der Festung gefolgt war und die Machtverhältnisse auf der Insel neu geordnet hatte, nicht von Richards Seite gewichen. Im Augenblick zierte ein gänzlich unkönigliches Feixen die sonst so ernsten Züge des Monarchen, der die in den Kriegerpranken zappelnden Jünglinge amüsiert musterte. »Da ihr offensichtlich zu viel Energie besitzt«, grollte Richard mit erzürnter Miene, »werdet ihr den Fußsoldaten beim Errichten der Palisaden zur Hand gehen!« Jeden Abend wurde rings um das Lager der Streitmacht ein doppelter Palisadenzaun gezogen, welcher den inneren Ring vor Feinden und wilden Tieren schützen sollte. Selbst bei der momentanen Zwischenstation – der Burg des Earls of Leicester – wurde keine Ausnahme von dieser Vorsichtsmaßnahme gemacht. »Und wenn ihr damit fertig seid, dann könnt ihr die Nacht über Wache stehen!« Mit einer verächtlichen Geste schleuderte er Roland von sich. Hätte nicht einer der Ritter den Knaben aufgefangen, wäre er zum zweiten Mal gegen einen der Zeltpflöcke getaumelt. Ehe sich die Jungen versahen, wurden sie von drei Männern beim Schlafittchen genommen, durch die hereinbrechende Dämmerung an den Rand der Zeltstadt gezerrt und unsanft auf den Anführer des Bautrupps zugestoßen. »Hier ist Hilfe für dich, Ymbert«, höhnte der Riese, der Roland beinahe die Luft abgeschnürt hatte. »Nimm sie ruhig hart ran!«
Als das schwache Licht der
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