Im Reich der Löwin
hatte er Befehl an Hubert Walter gegeben, ihre Besitztümer und Güter zu konfiszieren. Woraufhin Hugh of Lincoln damit gedroht hatte, den Kirchenbann über ebendiese Gebiete zu verhängen.
Bis gestern hätte Roland geschworen, dass eine Szene wie die, deren Zeuge er soeben geworden war, lediglich in der Phantasie eines Chronisten existieren könnte. Doch wie so oft zuvor hatte der temperamentvolle König sie alle überrascht. Während er dem Earl of Leicester und Robin of Loxley in die angenehm warme Eingangshalle des Wohnturmes folgte, runzelte er nachdenklich die Brauen. Auch wenn es so schien, als sei dieser Konflikt dank der Hartnäckigkeit Hughs nun beigelegt, stellte die Auseinandersetzung dennoch zumindest im Ansatz eine Niederlage für Richard Löwenherz dar. Denn, grübelte Roland, auch wenn die Machtverhältnisse wieder zurechtgerückt waren, musste man das Aufbegehren des Klerus trotzdem als deutliches Signal dafür sehen, dass England auf Dauer nicht mehr gewillt war, dem König Unsummen für einen Krieg in den Rachen zu werfen, der zwar schon halb gewonnen war, aber wenig Profit für die Bewohner der Insel abwarf. Mit einem Schulterzucken verscheuchte Roland den Gedanken und reihte sich in die Schlange ein, die darauf wartete, dass sich das Gedränge am Eingang der großen Halle lichtete. Die Düfte des Sonntagsschmauses strömten bereits betörend durch die Korridore der Festung. Für Roland würde dieses Festmahl eines der letzten auf Château Gaillard sein, da er bereits in zwei Tagen mit Jeanne nach Tours aufbrechen würde, um dort in aller Ruhe und Besinnlichkeit das Weihnachtsfest zu begehen. Wenn es stimmte, was sie ihm an diesem Morgen anvertraut hatte, gab es noch einen weiteren Grund zum Feiern, der in sieben Monaten das Licht der Welt erblicken würde!
Köln, Dezember 1197
Zur selben Zeit, als Roland, Graf der Touraine, sich zu seinem Platz am Kopf der langen Tafel vorkämpfte, ballte sein Verwandter, Otto von Braunschweig, in Köln die Hände an den Seiten zu Fäusten, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Ihr habt es lediglich der Fürsprache Eures Onkels und der Tatsache, dass Euer Bruder Heinrich noch in Palästina weilt, zu verdanken, dass wir Euch als Kandidat in Erwägung ziehen«, stellte der Erzbischof von Köln, Adolf von Altena, mit einem bissigen Unterton in der tiefen Stimme fest. Über den buschigen Brauen des mächtigen Kirchenmannes wölbte sich eine hohe, von einer elfenbeinfarbenen Mitra betonte Stirn, während das kurze, glatt rasierte Kinn seinem Gesicht ein merkwürdig asymmetrisches Aussehen verlieh. Die Menge der Gläubigen war bereits vor beinahe einer halben Stunde aus dem fünfschiffigen Hildeboldsdom in der Mitte der florierenden Kaufmannsstadt Köln in Richtung Marktplatz verschwunden, wo eine fahrende Schauspieltruppe aus England eines der dort in Mode gekommenen Mysterienspiele aufführte. Durch die regen Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern schienen sich Neuerungen in Literatur, Architektur und Kunst wie eine Wellenbewegung über die Landesgrenzen hinwegzusetzen. Wobei sie auf ihrem Weg durch Frankreich noch an Verspieltheit gewannen. Otto, der nur mit Mühe seine Verärgerung über den wankelmütigen Erzbischof im Zaum hielt, schluckte eine Antwort und bohrte den Blick der blauen Augen in die seines Gegenübers. Dieser zuckte nach einigen Lidschlägen die Schultern und wandte sich ab, um die liturgischen Gegenstände an seinen Diakon weiterzureichen, der diese sorgfältig in den dafür vorgesehenen, goldbeschlagenen Kästchen verstaute.
Nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. hatte die anti-staufische Allianz zuerst Ottos älteren Bruder Heinrich als Gegenkandidaten zu dem von den Staufern aufgestellten Philipp von Schwaben ernennen wollen. Aber auf Verlangen des englischen Königs, der hohe finanzielle Unterstützung bei der Wahl Ottos zusagte, hatte sich Adolf von Altena schließlich der Mehrheit gebeugt und der Kandidatur des jungen Mannes zugestimmt. Trotzdem grollte der Bischof Otto immer noch. Offenbar schätzte er es gar nicht, dass nicht nur Richard Löwenherz, sondern auch die führenden Kölner Wirtschaftsvertreter Druck auf ihn ausgeübt hatten, da sie reges Interesse daran besaßen, die florierenden Handelsbeziehungen mit England aufrechtzuerhalten. »Ihr werdet Eure Fürsprache nicht bereuen«, presste Otto schließlich gezwungen hervor, ehe er sich widerwillig vor Adolf verneigte und mit steifen Beinen den Gang entlang auf die
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