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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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atmete tief ein und öffnete schlaftrunken die Augen. Desorientiert nestelte sie an der dünnen Decke, die ihr plötzlich erstickend schwer erschien, und wollte gerade die Lage ändern, als sie die Anwesenheit des Eindringlings spürte. »Wenn Ihr schreit, schneide ich Euch die Kehle durch!« Die Stimme des Mannes, der sich im Dunkeln in Catherines Schlafgemach geschlichen hatte, war kaum mehr als ein Kratzen. Das Gesicht, das als bleiches Oval über ihr schwamm, nahm nur allmählich Gestalt an vor ihren schlafgetrübten Augen. Schmerzhaft drückte sich sein Knie in ihren Bauch und raubte ihr den Atem, sodass sie trotz der Warnung den Mund öffnete, nur um kurz darauf entsetzt aufzukeuchen, als sich seine Hand grob auf ihre Lippen drückte. Kalt legte sich die Klinge eines Dolches auf ihre Haut, und der Eindringling flüsterte drohend: »Einen falschen Laut und weder Ihr noch Eure Brut werden den morgigen Tag erleben!« Während die Furcht alle Wärme aus ihrem Körper zu vertreiben schien, begann Catherine zu zittern. Hätte ihr nächtlicher Besucher den Dolch nicht zurückgezogen, hätte er sie mit Sicherheit verletzt. »Guillaume«, stieß sie tonlos hervor, als er schließlich die Hand von ihrem Mund nahm und sich vertraulich neben ihr niederließ, um mit der blitzenden Klinge der Waffe eine Strähne ihres dunkelblonden Haares aus ihrem Mundwinkel zu streichen. Das schwache, durch die offenen Läden hereinfallende Mondlicht umriss seine plumpe Gestalt, die in der Dunkelheit größer und bedrohlicher wirkte als bei Tageslicht. »Ich dachte, Ihr wäret in Leicester.« Er lachte leise. »Da habt Ihr falsch gedacht«, erwiderte er bissig und zog etwas aus den Falten seines Umhanges, das er mit einem schadenfrohen Grinsen auf sie niederrieseln ließ. »So viel zu Eurem Brief«, stieß er heiser hervor, beugte sich vor und packte sie an der Kehle, während seine Linke unter die Laken fuhr, um ihre Brust zu umfassen. »Nicht«, flehte Catherine und schloss die Augen, um ihre Tränen vor ihm zu verbergen. »Dachtet Ihr denn im Ernst, dass Harold Euch beschützen könnte?«, fragte er provozierend. »Dachtet Ihr tatsächlich, dass Ihr und Euer Steward mich aufhalten könntet?« Mit einem verächtlichen Schnauben zog er die Hand zurück und lockerte den Griff um ihren Hals, ehe er sich noch weiter über sie beugte und ihr aus weniger als zwei Zoll Entfernung in die Augen starrte.
    »Vom heutigen Tag an werde ich im Palas wohnen«, stellte er sachlich fest. »Ihr werdet Eurem geliebten Gemahl regelmäßig schreiben.« Er schüttelte den Kopf, als er die Hoffnung in ihrem Blick aufblitzen sah. »Aber Eure Korrespondenz wird nichts enthalten, das ich Euch nicht diktiert habe.« Beinahe beiläufig holte er aus und versetzte ihr einen Schlag ins Gesicht, der ihren Kopf zur Seite schleuderte. »Und wenn Ihr mir nicht gehorcht, dann werdet nicht nur Ihr dafür bezahlen, sondern auch Eure kleinen Lieblinge!« Eine zweite Ohrfeige entlockte Catherine einen spitzen Schrei, den Guillaume jedoch augenblicklich mit einer warnenden Geste unterband. »Ihr solltet gut über meine Worte nachdenken«, riet er schneidend. »In ein paar Tagen komme ich aus Leicester zurück.« Als habe es sich bei seiner Visite um einen Höflichkeitsbesuch gehandelt, erhob er sich galant, verbeugte sich mit einem spöttischen Lächeln vor der Gemahlin seines Bruders, die sich die brennende Wange hielt, und verließ auf leisen Sohlen ihr Schlafgemach. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, löste sich die Erstarrung, in die Catherine verfallen war, und sie brach in haltloses Schluchzen aus.

Die Normandie, Vendôme, Anfang Juli 1194
     
    Etwas stimmte nicht! Während das Heer des englischen Königs den vom Verlust der Touraine aufgeschreckten Franzosen entgegenzog, versuchte der an Richards Seite galoppierende Roland festzustellen, warum sich sein Apfelschimmel an diesem grauenvoll heißen Julitag anders anfühlte als für gewöhnlich. Flimmernde Schleier lagen über der breiten Via Vicinalis – der mit großen Steinplatten gepflasterten Römerstraße, deren Alter deutlich an den breiten Rissen abzulesen war, in denen sich im Lauf der Jahrhunderte allerhand Unkraut und Schlinggewächs angesiedelt hatten. Als befände sich das granitgraue Gestein im Begriff zu schmelzen, verwischte die Hitze die Konturen der Reiter, von deren Kettenpanzern die erbarmungslos brüllende Sonne in gleißender Helle zurückgeworfen wurde. Die Hitze und den Durst, die ihm die

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