Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Kehle ausdörrten, ignorierend, zügelte Roland das Tier ein wenig, sodass dessen Tritt kürzer und sein Hufschlag langsamer wurden. Doch das schien ebenso wenig zu nützen wie die Verlagerung seines Gewichtes nach vorne. Vermutlich bildete er sich das Ganze nur ein! Entnervt ließ er sich in den Sattel zurückfallen, griff nach der am Sattelknauf befestigten Feldflasche und nahm einen tiefen Zug des körperwarmen Wassers. Beinahe hätte er ausgespuckt, als die Brühe seinen Mund füllte. Aber der quälende Durst war stärker als der Ekel vor dem nach Ziegenleder schmeckenden Nass. Nicht nur die Reiter auch die Landschaft, die bereits die Narben der quer durchs Land streifenden Truppen trug, litt unter der sengenden Hitze. Unter einem wolkenlosen Himmel, der sich am Horizont mit dem ausgetrockneten Grün der sanften Hügel zu vereinigen schien, dörrte sie langsam vor sich hin. Wie um die Bauern zu warnen, verstummten die Grillen, sobald der Donner der Hufe den Boden erzittern ließ.
    Während er die Linderung genoss, die das abgestandene Wasser seiner gemarterten Kehle brachte, gab Roland die Suche nach der Ursache des schwammigen Sattelgefühls auf und ließ die Gedanken abschweifen. Hypnotisiert vom Rhythmus der auf und ab wogenden Pferdeleiber, fragte er sich, wie es Henry wohl an der Seite seines Herrn erging. Dieser preschte gemeinsam mit dem Earl of Leicester etwa zehn Steinwürfe hinter ihm und Richard dem Feind entgegen. Seit Henry mithilfe des Barden Blondel erkannt hatte, dass die Leidenschaft für die schönen Künste nicht notwendigerweise mit Feigheit einhergehen musste und der König persönlich angeboten hatte, sich an seiner Waffenausbildung zu beteiligen, wirkte der Jüngere unbeschwerter. Es schien, als habe er sich von einem erstickenden Kokon befreit, der ihm seit seiner frühesten Kindheit die Luft zum Atmen genommen hatte. Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Roland an die Situationen am Hof ihres Halbbruders Geoffrey of York zurück, in denen Henry sich in eine Debatte über die Sündhaftigkeit der Dichtkunst hatte verstricken lassen. Dies hatte oft dazu geführt, dass der Junge trotz des Protestes seiner Mutter hart bestraft worden war. Einmal hatte Henry sich mit einem halb blinden Mönch angelegt, welcher der festen Überzeugung war, dass das Lachen Sünde sei, weshalb er die Gauklertruppen, die jedes Jahr zu Weihnachten durch die Lande zogen, am liebsten auf dem Scheiterhaufen hätte brennen sehen. Schmunzelnd erinnerte sich Roland an Henrys wohl berechtigte, aber dennoch unverschämte Frage, woher der Bruder diese Weisheit nehme. Was ihm eine solch furchtbare Tracht Prügel vonseiten des Abteivorstehers eingebracht hatte, dass der Knabe eine Woche lang nicht bei Tisch hatte sitzen können.
    Mit einer Grimasse vertrieb Roland die Geister der Vergangenheit und beschwor die Erscheinung der wunderschönen jungen Frau herauf, deren Abbild sich unauslöschlich in seine Seele eingegraben hatte. Wenngleich aus ihrer unnatürlichen Pose deutlich hervorging, wie unwohl sie sich gefühlt haben musste, als der Künstler sie auf das Holz gebannt hatte, ließen das trotzig gereckte Kinn und der leicht geneigte Kopf erkennen, welch starker Wille sich unter der sanften Schale verbarg. Wie viel Mut es gekostet haben musste, den Befehlen ihrer Eltern und ihres Gemahls zuwiderzuhandeln und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen!, dachte Roland bewundernd, während er vor seinem inneren Auge jeden Zoll ihres zarten Gesichtes abtastete. Die nur notdürftig gebändigten rotbraunen Locken, die sich keck unter dem breiten Schapel hervorkräuselten; die unglaublich grünen Augen, in denen der Funke der Lebensfreude sich mit der Bitterkeit enttäuschten Vertrauens vermischte; und der Mund, dessen fein geschwungene Lippen ihm Nacht für Nacht den Schlaf raubten. Ob er sie jemals in Fleisch und Blut zu Gesicht bekommen würde?, fragte er sich sehnsüchtig. Nachdem sie bei Aliénor von Aquitanien Zuflucht gesucht hatte, würde sie vielleicht den König um Schutz vor ihrem französischen Ehegatten anflehen. Er seufzte leise. Noch nie hatte eine Frau einen solchen Eindruck auf ihn gemacht. Er wusste, dass es eine Torheit war, Ungehorsam und Starrsinnigkeit zu bewundern, da diese Eigenschaften bei einer Frau alles andere als wünschenswert waren. Aber er kam dennoch nicht umhin, ihr für das, was sie getan hatte, Anerkennung zu zollen. Ob sie in Wirklichkeit wohl noch überwältigender war? Er zog die Wangen ein

Weitere Kostenlose Bücher