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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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kannst?« Da Jeanne auf diese Frage keine Antwort wusste, senkte sie erneut den Kopf und wünschte sich an einen anderen Ort. Auch wenn die Argumente ihrer beiden Begleiterinnen vernünftig klangen, graute ihr vor der Prüfung, die sie über sich ergehen lassen musste. Wie froh war sie gewesen, als Arnauld betrunken in ihren Armen eingeschlafen war und das von ihrer Mutter beschriebene Eheritual auf unbestimmte Zeit verschoben worden war! Es war nicht so, dass sie ihren Körper nicht schon früh selbst erkundet hätte. Aber die Vorstellung, dass ein anderer ihre tiefsten Geheimnisse erforschte, bereitete ihr Übelkeit. Und selbst wenn die Nonnen ihre Unschuld bezeugten, war sie sich keineswegs darüber im Klaren, wie ihr Leben danach weiterverlaufen würde. Sie erhob sich mit einem schweren Seufzer, gab Berengaria ihren erwachenden Sohn zurück und verabschiedete sich mit einem Knicks von ihrer Großtante. »Ich werde noch ein wenig zum Fluss hinabgehen, wenn Ihr nichts dagegen habt«, verkündete sie. Als Aliénor ihr mit einem Nicken zu verstehen gegeben hatte, dass sie sich entfernen konnte, wanderte sie trübselig zum dicht bewachsenen Ufer des kleinen Flüsschens, das den nördlichen Teil des Gartens plätschernd durchschnitt. Dort unter dem dichten Laub, geschützt vor den Blicken der Palastbewohner, ließ sie sich auf einen Baumstumpf fallen und sah blicklos in die glitzernden Fluten.
     
    ****
     
    Keine sechsunddreißig Stunden später – nachdem die gefürchtete Prozedur hinter ihr lag – kehrte Jeanne zu dem abgeschiedenen Ort am Ufer des Flusses zurück, um sich schluchzend ins Gras zu werfen und das Gesicht in den Armen zu vergraben. Der Himmel begann soeben, sich rot zu färben, und der Gesang einer Nachtigall scholl von den Baumwipfeln durch den Garten. Um sie herum zirpten Grillen um die Wette, und eine Handvoll Grashüpfer suchte erschrocken das Weite, als die junge Frau sie von ihren Halmen vertrieb. Die Gerüche des Spätsommers stachen ihr in die Nase, halb erstickt holte sie Luft und wischte sich mit dem Ärmel ihres Bliauds die Augen. Wie töricht es gewesen war, sich für die Prüfung herauszuputzen!, dachte sie verbittert, während immer noch Tränen der Demütigung und des Zorns ihre erhitzten Wangen hinabrannen. Ohne die aufwändige Frisur und das fein gewobene Gewand eines Blickes zu würdigen, hatte die Äbtissin des kleinen Klosters ihr befohlen, sich auszuziehen; hatte die Hände in Rosenwasser gebadet und sie mit sachlicher Stimme gebeten, auf einem merkwürdig geformten Stuhl Platz zu nehmen. Den Rest hatte Jeanne sich geschworen, würde sie so schnell wie möglich vergessen. Wenigstens hatte der Papst jetzt keinen Grund mehr, Richard Löwenherz die Annullierung der Ehe zu verweigern! Wütend trocknete sie die langsam versiegenden Tränen und starrte auf einen Käfer hinab, der eine riesige Dungkugel vor sich herschob.
    »Du hast es gut«, murmelte sie, stützte den Kopf in die Hände und beobachtete, wie das Insekt in einem winzigen Erdloch verschwand. »Wenn du ein Mensch wärst, wüsstest du gar nicht wohin mit all dem Mist!« Missmutig riss sie einen Grashalm aus und spaltete ihn in der Mitte. Sie wollte gerade nach einem ganzen Büschel greifen, als sie ein Lachen und das Plätschern von Wasser vernahm. Erschrocken legte sie den Kopf zur Seite und versuchte auszumachen, woher das Gelächter kam. Auf keinen Fall wollte sie, dass jemand sie entdeckte! Bevor sie sich entscheiden konnte, wo sie sich verstecken sollte, tauchten jedoch zwei nasse Schöpfe in dem kleinen Wasserlauf auf, die sich schnell ihrem Versteck näherten. »Los doch«, rief der vordere der beiden Schwimmer. »Nur noch ein paar Züge!« Mit diesen Worten verschwand sein rotblonder Schopf im Wasser, während seine Hände die seichten Fluten teilten. Als der Bursche einen flachen Stein in der Mitte des Flüsschens erreicht hatte, zog er sich daran hoch, wischte mit der Rechten die nassen Strähnen aus den Augen und hob triumphierend die Arme. »Irgendwann kriege ich dich«, prustete der zweite Schwimmer, der sich schwer atmend aus dem Wasser stemmte und neben dem anderen zusammensackte. »Es war kaum mehr als eine Manneslänge!« Der blonde Knabe lachte und klopfte dem Schwarzhaarigen, dessen Brustkorb sich heftig hob und senkte, anerkennend auf die Schulter. »Das war und ist das Einzige, was ich schon immer besser konnte als du, Roland«, frohlockte er. »Aber du kannst aufhören, so zu tun, als ob du schwächer

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