Im Reich des Vampirs

nachdenklich, dann kräuselte ein kleines Lächeln seine Lippen. Ihm ging es offenbar genauso wie O’Bannion vorhin – er schien mich plötzlich interessanter zu finden. »Gut, gut.« Er fuhr mit dem Daumen über meine Lippen, dann legte er die Hand um mein Kinn und hob mein Gesicht zum Licht, um in meinen Augen zu forschen. Für einen Moment dachte ich, er würde mich küssen, um meine Vielschichtigkeit und Zugehörigkeit zu spüren. Oder meine Falschheit? »Und Sie haben den Bruder des Mannes, den Sie getötet haben, geküsst – warum?«, raunte er seidenweich.
    Â»Ich habe ihn nicht getötet«, gab ich verbittert zurück. »Sie haben ihn ohne meine Erlaubnis in den Tod gelockt.«
    Â»Unsinn, Miss Lane«, erwiderte er. »Wenn ich Sie in dieser Nacht gefragt hätte, ob Sie seinen Tod haben wollen, damit Sie vor ihm sicher sind, hätten Sie ganz bestimmt Ja gesagt.«
    Ich erinnerte mich an diese Nacht, würde sie nie vergessen. Ich war außer mir gewesen, weil sich mein Leben so schnell auflöste, hatte Angst vor Rocky O’Bannion und war mir durchaus bewusst, dass wir ihm etwas angetan hatten, wofür er eine schlimme und zweifellos schmerzhafte Rache üben würde. Ich habe keine Illusionen, was meine Nehmerqualitäten bei Foltermethoden angeht. Barrons hatte recht. Ich hätte ihn gebeten: »Tun Sie, was immer nötig ist, um meine Sicherheit zu gewährleisten.« Aber ich muss diese Lösung ja nicht mögen. Und zugeben musste ich das auch nicht.
    Ich wandte mich ab und ging.
    Â»Ich möchte, dass Sie morgen früh ins Institut für Altsprachen des Trinity College gehen, Miss Lane.«
    Ich blieb stehen, als hätte er an meiner Leine gezerrt, und verdrehte die Augen zur Decke. War da oben etwas Kosmisches, das mir Streiche spielte? War das gesamte Universum ein großer Lasst-uns-Mac-verarschen-Witz? Das Institut für Altsprachen war der einzige Ort in Dublin, zu dem ich niemals gehen wollte. »Sie scherzen, oder?«
    Â»Nein. Warum?«
    Â»Vergessen Sie’s«, murmelte ich. »Was soll ich dort machen?«
    Â»Nach einer Frau namens Elle Masters fragen. Sie wird Ihnen ein Kuvert geben.«
    Â»Wieso holen Sie es nicht selbst ab?« Was machte er eigentlich den ganzen Tag?
    Â»Ich habe morgen anderes zu tun.«
    Â»Dann holen Sie es doch heute.«
    Â»Sie hat den Umschlag erst morgen.«
    Â»Dann schicken Sie einen Kurier.«
    Â»Wer ist hier der Arbeitgeber, Miss Lane?«
    Â»Und wer ist der Feenobjekt-Detektor?«
    Â»Gibt es einen Grund für Ihre Abneigung, in dieses College zu gehen?«
    Â»Nein.« Ich war nicht in der Stimmung, über Jungs mit verträumten Augen und Dates zu reden, die ich nie haben konnte.
    Â»Miss Lane, was ist dann Ihr Problem?«
    Â»Sollte ich mich nicht davor fürchten, dass mich der Lord Master erwischt, wenn ich da draußen herumlaufe?«
    Â»Haben Sie sich heute Abend deswegen Sorgen gemacht, als Sie zuließen, dass Ihnen Derek O’Bannion die Zunge in den Hals steckte?«
    Ich straffte die Schultern. »Er war drauf und dran, in die Dunkle Zone zu gehen, Barrons.«
    Â»Und? Ein Problem weniger für uns.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht wie Sie, Barrons. Ich bin nicht innerlich abgestorben.«
    Sein Lächeln war mehr als eisig. »Was haben Sie gemacht? Sind Sie ihm nachgelaufen und haben sich ihm auf einem Silbertablett angeboten, um ihn zum Umkehren zu bewegen?«
    So könnte man es nennen. Und dann musste ich dreieinhalb Stunden in einem Club in der Stadt ausharren, tanzen, mit O’Bannion flirten und seine Übergriffe abwehren, während uns Inspector Jayne von einem Ecktisch aus mit Adleraugen beobachtete. Ich bemühte mich, so viel von O’Bannions Zeit in Anspruch zu nehmen wie möglich, nur um ihn davon abzuhalten, bei Nacht in die Dunkle Zone zurückzukehren und seine Suche fortzusetzen. Dann wollte ich mich höflich verabschieden – was mir nicht gelang.
    Wie sein Bruder war Derek O’Bannion daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen, und als ihm das nicht auf Anhieb glückte, wurde er rabiater. In meiner blinden Entschlossenheit, keinen weiteren Todesfall auf mein Gewissen zu laden, hatte ich ganz vergessen, dass Derek blutsverwandt mit dem Mann war, der in einer einzigen Nacht siebenundzwanzig Menschen umgebracht hatte, um an das zu kommen, was er