Im Saal der Toten
gesehen.«
»Haben Sie damals Tagebuch geführt?«, fragte ich.
»Na ja, nicht direkt –«
»Er hat sich große Mühe gegeben, sich an alles zu erinnern.« Kirby unterbrach seinen Klienten, als er merkte, dass ich ihn um die schriftlichen Unterlagen bitten wollte.
Scotty machte sich eine Notiz. Wir würden einen Weg finden, an die Papiere ranzukommen.
»Würden Sie uns etwas mehr über diese Leute erzählen?«
Guidis Antworten waren ungenau und wenig aussagekräftig. Die beiden SABA-Teilnehmer, deren richtige Namen er uns genannt hatte, hatten mittlerweile bestimmt einen lupenreinen Lebenswandel vorzuweisen, oder er hätte sie nicht publik gemacht. Die Personen, die uns unter Umständen mehr nützen – und ihm unangenehmer werden – konnten, würden auch weiterhin unauffindbar bleiben.
»Sie haben uns letzte Woche erzählt, dass Ihnen ein Typ aus Ihrem Programm – Monty – auf einer Parkbank im Washington Square gestand, ein Mädchen umgebracht zu haben«, sagte ich. »Sie sagten, dass Sie damals nicht wussten, dass er damit Aurora Tait meinte, ist das richtig?«
»Ja, ganz genau. Ich hatte keinen Grund dazu.«
»Wann, wann genau kam Ihnen dieser Gedanke?«
»Ich weiß nicht, Ms Cooper. Ich hatte jahrelang nicht an Aurora gedacht, bis ich den Zeitungsartikel las und ihre Initialen sah. Die ungefähre Zeit ihres Verschwindens, die Tatsache, dass man das Skelett in einem Gebäude der Universität fand – da musste ich wieder an Montys Geschichte denken. Ein drogensüchtiger, reicher Bengel wie ich, der sein Leben vermasselt hatte.«
»Sie erwähnten, dass er bei einigen Therapiesitzungen von einem Internat sprach. Erinnern Sie sich noch, wie die Schule hieß oder in welchem Teil des Landes sie sich befand?«
Guidi zuckte mit den Schultern und drehte die Handflächen nach außen. Das Sonnenlicht spiegelte sich in seinen Manschettenknöpfen. »Möglicherweise in Neuengland. Andover oder Exeter. Könnte auch St. Paul’s gewesen sein. Irgendwo in der Pampa. Ich weiß nur noch, dass er von friedlichen, abgeschiedenen Wäldern erzählt hat und dass es ihm in der Gegend gefallen hat.«
»Sie sagten, dass er ein Waisenkind war. Wissen Sie, wie oder wann seine Eltern gestorben sind? Irgendwelche Einzelheiten über seine Familie, die uns dabei helfen könnten herauszufinden, wer er ist?«
Guidi sah mich an. »Darüber sprach er am häufigsten in den Treffen. Es ist typisch für einen Junkie, für alle seine Probleme anderen die Schuld zu geben. Seinen Vater hat er nie gekannt. Seine Mutter war, glaube ich, Hausmädchen – oder Haushälterin – beim Spross einer alten Industriellenfamilie. Sie starb an einer Blutkrankheit, als er noch ein Kind war, und ihr Arbeitgeber nahm ihn bei sich auf. Der reichste Mann in der Stadt; er schickte ihn aufs Internat und finanzierte seine Ausbildung.«
»Hat Monty nie über seinen Adoptivvater gesprochen?«
»Er hat ihn ja nie adoptiert. Das war mit der Grund, warum er ihn so hasste.«
Genau wie Edgar Poe, dachte ich, dem die Allans ihren Namen nicht geben wollten. Ob sich Monty der Parallelen zum Leben des gequälten Dichters bewusst war?
»War er darüber verbittert?«, fragte ich.
Guidi sah Kirby an, der ihm grünes Licht gab weiterzureden.
»Sie erinnern sich doch, dass Monty mir erzählt hat, er hätte ein Mädchen umgebracht, weil sie ihn verraten hätte?«
Ellen und ich bejahten.
»Ich, äh, nachdem ich letzte Woche das Revier verlassen hatte, habe ich noch weiter darüber nachgedacht. Mir fielen noch ein paar Dinge ein, die ich, äh, die ich ihn damals gefragt habe. Es tut mir Leid, dass ich mich nicht schon letzte Woche daran erinnert habe.« Er versuchte zu lächeln.
»Schon in Ordnung, Mr Guidi«, sagte Ellen. »Alles, was Sie uns jetzt sagen, hilft uns weiter.«
Ich hätte sie am liebsten unter dem Tisch gegen das Schienbein getreten, damit sie weiter Druck auf ihn ausübte, anstatt ihren ohnehin begrenzten Charme zu versprühen.
»Ich fragte ihn, was er damit meinte, was dieses Mädchen getan hatte, dass er glaubte, sie umgebracht zu haben.« Guidi sah mich an. »Sie müssen verstehen, Ms Cooper, dass ich damals davon ausging, dass alles nur eine Ausgeburt seiner Fantasie war. Wir hatten damals alle Halluzinationen.«
Während er weitersprach und mit seiner linken Hand gestikulierte, fiel mein Blick auf seinen goldenen Manschettenknopf, der die Form eines Gewehrkolbens hatte.
»Er wusste, dass ich aus einer wohlhabenden Familie stammte. Für mich
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