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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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auf der Flucht, weil er Sex mit einer Minderjährigen hatte. Und jetzt hört euch das an! Poe war ein Pädophiler. Ein inzestuöser Pädophiler. Coop hätte ihn wahrscheinlich wegen Vergewaltigung von Minderjährigen und Inzest hinter Gitter gebracht.«
    Zeldin amüsierte sich über Mikes Reaktion. »Sie sprechen von der Muse des Dichters, Mr Chapman. Unser Verein ist der Ansicht, dass sich ein Mensch von solch außergewöhnlicher Schaffenskraft gewisse Freiheiten erlauben darf. Wir halten uns nicht mit seinen Unzulänglichkeiten auf.«
    »Ich spreche von etwas, das so ziemlich jeden, den ich kenne, schockieren würde. Und er war noch dazu Alkoholiker, oder?«
    »Ja, Detective, es existieren Briefe von seinem Verleger, der wegen seiner Alkoholabhängigkeit schier verzweifelte. Und es gab Anzeichen einer noch schlimmeren Sucht.«
    »Welcher?« Ich dachte an den Drogenmissbrauch von Aurora Tait, Emily Upshaw, Gino Guidi und einigen anderen, mit denen wir es bei dieser Ermittlung zu tun hatten.
    »Was das angeht, sind unsere Mitglieder gespaltener Meinung«, sagte Zeldin. »Manche schreiben dem Meister ungern noch mehr schlechte Eigenschaften zu als die, die gut dokumentiert sind. Aber die meisten von uns sind überzeugt, dass Poe nicht nur alkohol-, sondern auch opiumsüchtig war. Briefe aus der Zeit deuten sogar darauf hin, dass er Laudanum nahm.«
    »Wie konnte er da schreiben?«, fragte ich. »Wie konnte er da diese brillanten Werke verfassen?«
    »Poe war von sämtlichen Dämonen heimgesucht, Miss Cooper. Angefangen bei seiner zerrütteten, lieblosen Kindheit. Dann war er den Großteil seines Erwachsenenlebens bettelarm – obwohl seine Werke in Amerika und Europa viel Beifall fanden. Hinzu kam die Verzweiflung über die chronische Krankheit seiner Frau, sein lebenslanger Kampf mit den Opiaten, dem Alkohol und dem Wahnsinn, wie er es nach Virginias Tod selbst nannte.«
    Wir schwiegen.
    »Ist er allein gestorben?«, fragte Mercer schließlich.
    »Seine letzten Wochen sind etwas rätselhaft, Mr Wallace. Er verließ die Bronx und ging nach Philadelphia, dann weiter nach Richmond, dann zurück nach Baltimore. Angeblich fand man ihn sturzbetrunken und wirres Zeug redend in einer Kneipe. Freunde brachten ihn über Nacht in ein Krankenhaus, wo er schreckliche Tremoranfälle, Schweißausbrüche und Halluzinationen erlitt. Ein paar Tage darauf war Edgar Allan Poe tot. Im Alter von vierzig Jahren. ›Der Herr hilf meiner armen Seele‹ waren seine letzten Worte.«
    »Und trotz allem«, sagte ich, »schrieb er einige der bemerkenswertesten Gedichte und Erzählungen in englischer Sprache. Das ist wirklich außergewöhnlich.«
    »Ein Genie. Ein gequältes, gepeinigtes Genie, Miss Cooper«, sagte Zeldin. »Wenn er kein erfolgreicher Schriftsteller gewesen wäre, dann hätte aus Edgar Allan Poe gut und gern ein Serienmörder werden können.«

 

28
     
    »Wie ich höre, haben Sie und Mr Phelps sich schon anderntags an der Schlucht kennen gelernt«, sagte Zeldin.
    Zur vereinbarten Zeit klopfte Sinclair Phelps an Zeldins Bürotür, um ihn abzuholen.
    »Ja, wir kennen uns.« Ich begrüßte den Parkverwalter und stellte ihm Mercer vor.
    »Sagen Sie es Ihnen, Sinclair. Sie scheinen mir nicht zu glauben, dass ich am Dienstag, als ich das Büro verließ, noch nichts von dem verhängnisvollen Unfall des Arztes wusste.«
    »Falls darüber Zweifel bestehen, Mr Chapman, ich war derjenige, der die Sache gemeldet hat«, sagte Phelps. »Außer der Polizei habe ich nur noch den Direktor des Botanischen Gartens verständigt. Er bat mich, die Belegschaft erst davon in Kenntnis zu setzen, nachdem die Polizei das Gelände wieder verlassen hätte.«
    Phelps schob Zeldin zu einem großen Aufzug, der uns ins Erdgeschoss brachte. »Sie können gern Ihr Auto hier lassen und bei uns mitfahren.«
    »Wohin fahren wir?«, fragte Mike.
    »Zur Tabakmühle, Detective.« Zeldin lachte. »Momentan der inoffizielle Sitz des Rabenvereins.«
    Der Rollstuhl rastete auf der Ladefläche des behindertengerechten Kleinbusses ein. Mike setzte sich auf einen der Vordersitze, Mercer und ich hinter ihn. »Tabak was?«
    »In den 1740er Jahren gehörten zweihundertfünfzig Hektar dieses erstklassigen Grund und Bodens der Familie Lorillard. Pierre Lorillard war ein Hugenotte, der sich hier in Westchester niederließ und seine Tabakindustrie ursprünglich in Lower Manhattan ansiedelte. Aber dann verlagerte er sie hier herauf, um sich den Wasserfall zunutze zu machen. Als Poe

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