Im Schatten der Akazie
Tanit!«
Uriteschup schob seine Gemahlin beiseite und schlüpfte hastig in ein kurzes Gewand mit schwarzen und roten Streifen.
So freudig erregt wie zu seinen besten Zeiten schwang er sich auf sein Pferd, bereit, in die Schlacht zu ziehen.
Hattuschili war gestürzt worden, die Verfechter eines allumfassenden Krieges hatten die Oberhand gewonnen und die ägyptischen Verteidigungslinien in einem Sturmangriff durchbrochen! Der ganze Vordere Orient war ins Wanken geraten!
Auf der breiten Allee, die vom Ptah-Tempel zum königlichen 297
Palast führte, feierte eine ausgelassene, bunt zusammengewürfelte Menschenmenge.
Weit und breit war kein Soldat in Sicht, nicht die leiseste Spur eines Kampfes.
Verblüfft wandte sich Uriteschup an einen Mann der Sicherheitswache, der einen gutmütigen Eindruck erweckte und sich an dem Freudenfest beteiligte.
»Es heißt, Hethiter seien in Pi-Ramses eingefallen.«
»Ja, das stimmt.«
»Aber … Wo sind sie?«
»Im Palast.«
»Haben sie Ramses umgebracht?«
»Was redest du denn daher? Es sind die ersten Hethiter, die zu Besuch nach Ägypten kommen, und sie haben unserem Herrscher Geschenke mitgebracht.«
Friedfertige Reisende! … Völlig bestürzt bahnte sich Uriteschup einen Weg durch die Menge und traf schließlich vor dem großen Tor des Palastes ein.
»Du hast uns gerade noch gefehlt!« rief Serramanna mit dröhnender Stimme. »Willst du der Zeremonie beiwohnen?«
Wie benommen ließ sich der Hethiter von dem sardischen Riesen in den Audienzsaal führen, in dem sich die Höflinge bereits drängten.
In der ersten Reihe standen die Wortführer der Besucher, die Arme mit Geschenken beladen. Als Ramses eintrat, verstummten die Gespräche. Nacheinander übergaben die Hethiter dem Pharao Lapislazuli, Türkise, Kupfer, Eisen, Smaragde, Amethyste, Karneole und Jade.
Für eine Weile blieb der Blick des Königs an einigen herrlichen Türkisen hängen. Die konnten nur aus dem Sinai stammen, wo Ramses sich in Jugendtagen gemeinsam mit Moses aufgehalten hatte. Nie würde er die rotgelben Berge 298
vergessen, ihre furchterregenden Felsen, ihre stillen Schluchten.
»Du, der du mir diese wundervollen Steine bringst, sage mir, ob du den Weg von Moses und dem hebräischen Volk gekreuzt hast.«
»Nein, Majestät.«
»Hast du von ihrer Wanderung durch die Wüste reden hören?«
»Ja, Majestät. Jeder hat Angst vor ihnen, denn sie kämpfen gerne und mit allen, aber Moses behauptet, sie werden ihr Land finden.«
Demnach verfolgte der Freund aus Kindertagen immer noch seinen Traum. Während sich der Herrscher jener weit zurückliegenden Jahre entsann, da sich ihre jeweiligen Schicksale herausgebildet hatten, widmete er den sich aufhäufenden Geschenken nur mehr geringe Aufmerksamkeit.
Der Anführer der Abordnung verneigte sich als letzter vor Ramses.
»Dürfen wir uns in ganz Ägypten frei bewegen, Majestät?«
»Das hat der Frieden mit sich gebracht.«
»Können wir in deiner Hauptstadt auch unseren Göttern huldigen?«
»Im Osten der Stadt steht der Tempel der syrischen Göttin Astarte, der Gefährtin des Gottes Seth und Beschützerin meines Streitwagens und meiner Pferde. Sie habe ich auch gebeten, über die Sicherheit des Hafens von Memphis zu wachen. Der Wettergott und die Sonnengöttin, die ihr in Hattuscha verehrt, sind in Pi-Ramses ebenso willkommen.«
Nachdem die Hethiter den Audienzsaal verlassen hatten, sprach Uriteschup einen seiner Landsleute an.
»Erkennst du mich wieder?«
»Nein.«
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»Ich bin Uriteschup, der Sohn König Muwatallis.«
»Muwatalli ist tot, jetzt herrscht Hattuschili.«
»Dieser Besuch, der ist doch eine List, nicht wahr?«
»Was für eine List? Wir wollen uns Ägypten ansehen, und viele andere Hethiter werden es uns gleichtun. Der Krieg ist zu Ende, wirklich zu Ende.«
Noch lange stand Uriteschup reglos mitten auf der breiten Allee von Pi-Ramses.
Der Vorsteher des Schatzhauses, den Ameni begleitete, wagte endlich, vor Ramses zu erscheinen. Bisher hatte er lieber seine Zunge im Zaum gehalten, denn er war guten Mutes gewesen, daß sich Aufsehen vermeiden ließe und die Vernunft die Oberhand gewinnen würde. Aber die Ankunft der hethitischen Besucher oder, genauer gesagt, die von ihnen überbrachten Geschenke hatten zu derartiger Maßlosigkeit geführt, daß der hohe Beamte nicht länger schweigen durfte.
In seiner Scheu, dem Pharao selbst gegenüberzutreten, war der Vorsteher des Schatzhauses zu Ameni gegangen, der ihm wortlos
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